Die Verse des Koran, die über Rhythmus und Symmetrie der Form miteinander verknüpft sind, tragen die Zeichen der Einheit Gottes. Sie wühlen unsere Gefühle auf und spornen unseren Verstand an, über die Einheit in der Vielfalt und die Harmonie in der Verschiedenartigkeit nachzudenken. Jede einzelne seiner Suren behandelt auf unterschiedliche Art und Weise eine Vielzahl von Themen. Diese Tatsache zeichnet ganz entscheidend für seine einzigartige Schönheit und unvergleichliche Beredsamkeit verantwortlich. Aufmerksame Rezitatoren und intelligente Zuhörer können sich an solchen rhythmischen Umbrüchen so sehr erfreuen, dass der Koran selbst erklärt:
Gott hat die schönste Botschaft, ein Buch, herabgesandt, eine sich gleichartig wiederholende Schrift, vor der denen, die ihren Herrn fürchten, die Haut erschauert; dann erweicht sich ihre Haut und ihr Herz zum Gedenken Gottes. Das ist die Führung Gottes; Er leitet damit recht, wen Er will. Und der, den Gott zum Irrenden erklärt, wird keinen Führer haben. (39:23)
Obwohl die zur Zeit des Propheten lebenden Araber sehr intelligent und in puncto Dichtkunst und Beredsamkeit sehr versiert waren, gelang es ihnen nicht, etwas dem Koran Vergleichbares hervorzubringen. Keiner der zahllosen Literaten, die ihnen nachfolgten, hat dies jemals geschafft. Der Prophet forderte seine Zeitgenossen und die ganze Menschheit unabhängig von Zeit und Raum heraus, auch nur ein einziges den Suren des Koran ähnelndes Kapitel zu schaffen. Dass sie scheiterten, beweist den göttlichen Ursprung des Korans.
Und wenn ihr im Zweifel seid über das, was Wir auf Unseren Diener herab gesandt haben, so bringt doch eine Sure gleicher Art herbei. (2:23)
Und dieser Qur’an hätte nicht ersonnen werden können, außer durch Allah. Vielmehr ist er eine Bestätigung dessen, was ihm vorausging, und eine ausführliche Erklärung der Schrift – darüber herrscht kein Zweifel – vom Herrn der Welten. Oder wollen sie etwa sagen: „Er hat ihn erdichtet“? Sprich: „Bringt denn eine Sure gleicher Art hervor und ruft, wen ihr nur könnt, außer Allah, wenn ihr wahrhaftig seid.“ (10:37-38)
Sprich: „Wenn sich auch die Menschen und die Dschinn vereinigten, um etwas Gleiches wie diesen Koran hervorzubringen, brächten sie doch nichts Gleiches hervor, selbst wenn sie einander beistünden. (17:88)
Niemand hat jemals ein Werk geschaffen, dass einer Sure des Koran (und sei es der kürzesten von ihnen [der Sure al-Kawthar]) ebenbürtig wäre, und niemandem wird dies jemals gelingen. Die Gegner des Islam haben stets zu den Waffen gegriffen. Aber ihre Bemühungen wurden – mit einer Ausnahme: in Andalusien, dem islamischen Spanien – zunichte gemacht. Ein muslimischer Gelehrter bringt es auf den Punkt: Wenn die Menschen den Koran bzw. den Islam durch Beweise, Wissenschaft oder Beredsamkeit hätten besiegen können, hätten sie sich keiner anderen Waffen bedienen brauchen. Je mehr Zeit vergeht, desto jünger und frischer wird der Koran. Denn dieser Prozess hilft der Menschheit, auch seine verborgenen Schätze zu heben. Heute ist der Islam der einzige Lebensweg, der uns irgendeine Hoffnung bereitet.
So wie jeder Vers eine unabhängige Existenz besitzt, unterhält er auch bedeutende Beziehungen zu den anderen Versen und zum Koran in seiner Gesamtheit. Insofern verlangen ein korrektes Verständnis und eine treffende Interpretation eines Verses ein vollständiges Wissen und ein umfassendes Verständnis des ganzen Koran. Aus diesem Grunde sagen die Muslime, dass der beste Interpret des Koran der Koran selbst ist.
Said Nursi lenkt unsere Aufmerksamkeit oft auf die erstaunlichen Bedeutungstiefen, die sich im Wortlaut des Koran verbergen. Der bestimmte Artikel alim Arabischen beispielsweise verleiht einem Wort einen einschließenden Charakter. Deshalb interpretiert er al-Hamdu am Anfang der Sure al-Fathiha als: „Alles Lob und aller Dank, den irgendein Mensch aus welchem Grund und bei welcher Gelegenheit auch immer seit Anbeginn der Welt anderen Menschen gespendet hat oder bis zum Jüngsten Tag spenden wird, gebührt Gott.“
Aus den Worten des Teilsatzes …(die)von dem ausgeben, was Wir ihnen beschert haben… (2:3) leitet Said Nursi folgende Regeln und Bedingungen für das Spenden von Almosen ab:
- Damit seine Almosen von Gott angenommen werden, hat der Gläubige von seinem Lebensunterhalt nur so viel abzugeben, dass er nicht selbst zum Almosenempfänger wird. Von dem, was unterstreicht diese Bedingung.
- Der Gläubige darf dem Bedürftigen nichts von den Gütern anderer zukommen lassen, sondern muss ihm von seinen eigenen Habseligkeiten geben. Der Ausdruck was Wir ihnen beschert haben weist auf diese Bedingung hin. Hier ist gemeint: „Gib (um Leben zu erhalten) von dem, was Wir dir gegeben haben (um dein Leben zu erhalten)!“
- Der Gläubige darf den, dem er gegeben hat, nicht an die Güte, die er ihm gegenüber gezeigt hat, erinnern. Das Wir in was Wir ihnen beschert haben kennzeichnet diese Bedingung und besagt: „Ich bin es, der dir den Lebensunterhalt, aus dem du dem Armen Unterstützung gewährst, bereitstellt. Wenn du einem Meiner Diener etwas aus Meinem Besitz zukommen lässt, kannst du ihn nicht dazu verpflichten, dir dankbar zu sein.“
- Der Gläubige darf keine Angst haben, durch das Spenden von Almosen arm zu werden. Hierauf weist ebenfalls das Wort Wir in in was Wir ihnen beschert haben hin. Da Gott für uns sorgt und uns aufgetragen hat, anderen Menschen Almosen zu geben, wird Er es nicht zulassen, dass wir hierdurch arm werden.
- Der Gläubige muss jemandem spenden, der die Spende für seinen Lebensunterhalt benötigt. Nicht gestattet ist es, jemandem etwas zu spenden, der die Spende verprassen wird. Der Ausdruck von dem ausgeben zielt auf diese Bedingung.
- Der Gläubige muss Gott zuliebe geben. Was Wir ihnen beschert haben legt diese Bedingung fest. Gemeint ist: „Eigentlich ist es Mein Vermögen, aus dem du gibst, daher musst du auch in Meinem Namen geben!“
- Das was in von dem, was weist darauf hin, dass alles, was Gott einem Menschen darbietet, in der Bedeutung des Bescherens enthalten ist. Daher sind die Gläubigen dazu aufgefordert, von allem, was sie an Gutem besitzen, zu geben. Hierzu gehören auch gute Worte, Hilfeleistungen, Ratschläge und Unterweisung. All diese Dinge sind in dem Wort bescheren (arab.: Rizq) mit berücksichtigt.
In Übereinstimmung mit diesen Bedingungen lautet die Bedeutung des Originalwortlauts im Arabischen: „Von all dem, was Wir ihnen an Gütern, Geld, Macht, Wissen, Intelligenz etc. beschert haben, in der festen Überzeugung, dass Wir es sind, der es bereitgestellt hat, und deshalb ohne Furcht davor, arm zu werden oder jenen, denen sie spenden, eine Verpflichtung aufzuerlegen, spenden sie den Bedürftigen, die empfindsam genug sind, das, was ihnen gegeben wird, nicht zu verschwenden, eine Summe, die sie selbst nicht in die Lage versetzen wird, ihrerseits auf Almosen angewiesen zu sein.“1