Der Islam gehört aktuell zu den meistdiskutierten Religionen in der Welt. Während auf Seiten der Muslime viel Missverständnis und Unkenntnis über die eigene Religion herrschen, sind auf Seiten der Nichtmuslime nach wie vor Vorurteile und Stigmatisierungen weit verbreitet.
Leichtgläubige Muslime und Nichtmuslime lassen sich durch Desinformationen leicht beeinflussen, woraus im Endeffekt ein Islam resultiert, der einem Flickenteppich ähnelt. In Wahrheit jedoch ist der Islam eine Religion, die für sich in Anspruch nimmt, die Menschen auf einen geraden Weg, einen Mittelweg zu führen. Leider haben sich viele Muslime von diesem Mittelweg, der ein Weg der Mäßigung ist, inzwischen mehr oder weniger weit entfernt. Nicht selten ist unter ihnen sogar extremistisches und salafistisches Denken und Handeln anzutreffen.
Viele Muslime sind nach wie vor in Ritualen verfangen, die nicht gerade von solidem Basiswissen künden. Nur wenige Muslime nehmen den Islam in seiner Eigenschaft als Religion wahr und versuchen, seine Lehre reflektiert im eigenen Leben zu praktizieren. Islamisten und Salafisten hingegen betrachten den Islam als eine Ideologie, was bei den leichtgläubigen Nichtmuslimen zu einer diffusen Wahrnehmung des Islams führt. In ihren Köpfen existiert oft nur ein sehr verschwommenes Bild von dieser Religion. Deshalb sollen im Folgenden einige wichtige und immer wieder verwendete Begriffe und Begrifflichkeiten wie Islam, Koran, Sunna, Dschihad, Märtyrertum, Paradies und Scharia kurz etwas näher erläutert werden.
Wenn wir den Islam in seiner Eigenschaft als Religion sehen, erkennen wir, dass er eine vielfältige Anhängerschaft hat, zu der neben Sunniten und Schiiten auch Teile der Aleviten gehören. Sunniten und Schiiten folgen unterschiedlichen Rechtsschulen und lassen sich unterschiedlichen Richtungen zuordnen. Diese Tatsache zeugt davon, dass der Islam Vielfalt hervorbringt und begünstigt.
Der Koran gilt den Muslimen als heiliges Buch und Offenbarung Gottes. Allerdings bedarf er an vielen Stellen einer Auslegung. Ohne Kontextualisierung ist der Sinn mancher Verse nicht richtig zu erschließen. Daher ist der Koran auch keine Verfassung, wie die meisten Islamisten behaupten. Der Koran schreibt keine bestimmte Regierungsform vor, was im Widerspruch zu einer Verfassung steht. Außerdem ist der Koran überepochal, transkulturell und überregional.
Die Sunna ist die zweitwichtigste Quelle des Islams nach dem Koran. Sie besteht aus den überlieferten Aussprüchen des Propheten Muhammed, den Hadithen. Die Sunna wird auch als Tradition des Propheten bezeichnet. Die Hadithe wurden bereits im 9. Jahrhundert von Hadith-Wissenschaftlern wie u.a. Bukhari, Muslim, Tirmidhi gesammelt, analysiert, sortiert und sichergestellt. Jeder Muslim kann von der Sunna profitierten, indem er sie – auf freiwilliger Basis – im Alltag als Richtschnur für sein Leben und Handeln nimmt.
Im islamischen Kontext steht der Begriff Dschihad im Prinzip zunächst einmal ganz neutral für das Bemühen oder die Anstrengung in bestimmten Bereichen. Darüber hinaus werden bei diesem Begriff intellektuelle, psychologische, soziale und kriegerische Dimensionen unterschieden. Die meisten Diskussionen, die aktuell mit dem Begriff Dschihad verknüpft sind, beziehen sich auf die kriegerische Dimension. Diese ist eng mit den arabischen Begriffen Ghaza und Harb (Krieg) verwoben und auf Verteidigungskriege beschränkt. Dort besitzt sie einen defensiven Charakter. Für die psychologische Dimension verwenden muslimische Denker und insbesondere Sufis den Begriff Mudschahada, der aus derselben arabischen Wortwurzel dsch-h-d abgeleitet ist wie der Begriff Dschihad. Mudschahada bringt auch die spirituelle Dimension des Dschihads zum Ausdruck. Die intellektuelle Dimension hingegen artikuliert sich in den Begriffen Idschtihad (Interpretation und Urteilsbildung) und Tafakkur (Kontemplation). Die soziale Dimension umfasst den Dienst an der Gemeinschaft und das Engagement gegen Ungerechtigkeit. Die sozialen, psychologischen, intellektuellen und menschlichen Dimensionen des Dschihads werden also im Islam stärker betont als die Dimension des Krieges.
Unter bestimmten Umständen besitzt das Märtyrertum im Islam einen besonderen Stellenwert. Allerdings ermuntert der Islam keineswegs zum Sterben, sondern zum Leben. Nur wer ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt, stirbt als Märtyrer und bekommt dann nach dem Tod im Jenseits einen besonderen Rang zugesprochen. Selbstmordattentate und das Töten unschuldiger Menschen können aber mit Sicherheit nicht zu diesen ganz bestimmten Voraussetzungen gezählt werden. Insgesamt gilt: Wer ein gottgefälliges Leben führt, wird mit dem Paradies belohnt. Das Paradies ist also ein Ort der ewigen Belohnung.
Die Scharia ist in erster Linie eine moralische Werteordnung, die sich ausgehend von Koran und Sunna definieren lässt. Sie ermöglicht dem Menschen, im Diesseits ein gottgefälliges und glückliches Leben zu führen – und dieses Leben anschließend im Paradies fortzuführen, etwa nach dem Motto: Was der Mensch im Diesseits sät, wird er im Jenseits ernten.
Aus den bisherigen Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, dass wir – heute mehr denn je – einen differenzierteren Umgang mit dem Islam und seinen Begrifflichkeiten brauchen.
Leider werden Begriffe wie Islamismus oder Salafismus heutzutage nicht selten synonym mit dem Begriff Islam verwendet. Dabei picken sich diese Strömungen lediglich bestimmte islamische Konzepte heraus, die sie isolieren, ihres Zusammenhangs berauben und für ihre eigenen Zwecke ideologisieren und instrumentalisieren. Sie plündern die islamische Religion aus und erschaffen sich ihre eigene Pseudo-Religion.
Wenn vom Islamismus die Rede ist, zählen hierzu neben dem Neosalafismus auch Terrorgruppen wie Al-Qaida, Islamischer Staat oder Boko Haram. Islamisten halten den Koran für eine Art Verfassung. Auch wenn sie sich von Zeit zu Zeit in der Öffentlichkeit so präsentieren, als würden sie an demokratischen Werten festhalten, ist das, was ihnen vorschwebt, ein theokratischer, autokratischer Staat. In diesem Staat soll die öffentliche Praktizierung der Sunna Pflicht sein. Eine strikte Unterteilung in „Halal und Haram“ (erlaubt und verboten) dominiert den Alltag. Andersdenkende werden stigmatisiert. Islamisten halten sich für die einzig wahren Muslime. Ihr Mangel an Grundwissen und Urteilsvermögen und eine ungesunde Persönlichkeitsentwicklung führt sie entweder zu einer zweidimensionalen Schwarz-Weiß-Sicht oder zu einer Wahrnehmung anderer Menschen, die von blindem Gehorsam oder auch von Hass getrieben ist. Blinden Gehorsam bezeigen sie der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, und Andersdenkenden bringen sie nichts als Hassgefühle entgegen. Vor allem dieser Umstand ist verantwortlich dafür, dass Islamisten unter dem Begriff Dschihad fälschlicherweise die Durchsetzung der eigenen religiösen Einstellung und den Kampf gegen Andersdenkende oder „Ungläubige“ verstehen. Die anderen Dimensionen des Begriffs ignorieren sie schlichtweg. Den Begriff Märtyrertum missbrauchen sie, indem sie ihn verherrlichen, um junge Menschen sogar zu Selbstmordattentaten anzustiften. Das Paradies stellen sie als einen Ort dar, an dem alle ihre Gelüste einst gestillt werden. Dieses Ziel stellen sie derart in den Mittelpunkt ihres Handelns, dass ihnen ein gottgefälliges Leben gar nicht mehr möglich ist. Den islamischen Quellen zufolge darf niemand behaupten, dass der Zweck die Mittel heiligt. Für Islamisten aber heiligt der Zweck alle Mittel, was von einer machiavellistischen Grundhaltung zeugt. Mit dieser Haltung ins Paradies gelangen zu wollen, widerspricht jeder Logik. Wenn das, was sie behaupten, stimmen würde, wäre das Paradies voll von Terroristen, Gewalttätern, Hasspredigern, Lügnern, Volksverhetzern und Hexenjägern. Interessanterweise berufen sie sich dabei auf die Scharia, die sie als gesetzgebend wahrnehmen. Durch sie versuchen sie auch, ihre Haltungen und Ideen zu legitimieren. Ihrer Meinung nach regelt die Scharia das ganze politisch-gesellschaftliche Leben.
Der Vergleich des Islams in seiner Eigenschaft als Religion mit dem Islamverständnis von Islamisten und Salafisten verdeutlicht uns, mit welchen Problemen wir konfrontiert sind. Wie können wir ein differenziertes Bild vom Islam zeichnen, wenn doch die Muslime selbst so undifferenziert und unwissend mit der eigenen Religion umgehen? Wenn wichtige Begrifflichkeiten wie die oben erläuterten mit falschen Inhalten konnotiert werden, ist kaum zu vermeiden, dass in den Köpfen der Menschen ein vorurteilsbeladener Islam entsteht, der mit dem eigentlichen Islam nichts (mehr) zu tun hat. Schein gegen Sein, Einfalt gegen Vielfalt. In erster Linie müssen sich die Muslime mit dieser Pervertierung richtig auseinandersetzen.
Um unsere Jugendlichen vor gefährlichen islamistischen und neosalafistischen Ideologien zu schützen, müssen wir umgehend einige Präventivmaßnahmen in die Wege leiten. Angefangen von der innerfamiliären Erziehung über positive Erfahrungen an Schulen in puncto Wertschätzung, Anerkennung, gesunde Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung bis hin zur Vermittlung von ethischen, demokratischen Werten. In vielen Bereichen sind ernstzunehmende Herausforderungen zu bewältigen. Und natürlich lässt sich die Problematik beliebig noch weiter vertiefen: Braucht der Islam eine tiefgreifende Reform? Vielleicht in einigen Punkten. Brauchen Muslime eine nachhaltige Aufklärung? Unbedingt. Wir benötigen aufrichtige Aufklärungsarbeit in jeder Hinsicht und in allen Bereichen; in der Familie ebenso wie an Schulen und in den Medien. Erst dann werden eine Vergegenwärtigung (und natürlich das richtige Verständnis) des Islams und die Deradikalisierung (potenzieller) extremistischer Muslime leichter fallen.