Den Gelehrten Fuat Sezgin zu kennen bedeutet, die Wurzeln unseres kulturellen Erbes aus der Wissenschaftsgeschichte heraus zu verstehen. Hätte jemand die herausragenden Leistungen von Fuat Sezgin bereits vor 150 Jahren erbracht, hätten osmanische Intellektuelle vor dem Westen nicht in Minderwertigkeitskomplexe zu verfallen brauchen. Denn in seinen Werken und mit seinen Konstruktionen zeichnet der große Wissenschaftler genau nach, über welche Wege wissenschaftliche Errungenschaften der Muslime nach Europa fanden. Diese Wege werden in über 1.200 Bänden detailliert nachgezeichnet und analysiert. Dazu wurden ca. 400.000 Originalmanuskripte aus 60 Ländern durchforstet, aufbereitet und vom Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften in Frankfurt zugänglich gemacht. Aus den Dokumenten wird nicht zuletzt ersichtlich, dass sich viele abendländische Wissenschaftler bei ihren Erfindungen aus diesem reichen Fundus bedienten, ohne dass dies öffentlich gemacht und bekannt wurde.
In einem Vorwort erklärt Prof. Dr. Sezgin die Intention seiner Ausstellungen wie folgt:
„Meine Motivation zur Gründung von Museen für die Geschichte von Wissenschaft und Technik im Islam in Frankfurt und Istanbul liegt darin, dass ich die Wissenschaftsgeschichte der Welt als eine untrennbare Einheit betrachte. Unser Ziel war es, ein fehlendes Teilchen ins Puzzle der Wissenschaftsgeschichte einzusetzen. Wir wollten die Lücke schließen, die durch die falsche Annahme entstanden ist, die Renaissance schließe direkt an die Antike an. Wir wollten zeigen, dass die produktiven und kreativen Gelehrten der islamischen Kultur nach einer anfänglichen Übernahme- und Verinnerlichungsphase in der Zeitspanne zwischen den Jahren 900 und 1600 einzigartige Leistungen erbracht haben. Und genau diese Leistungen bildeten die Basis für die europäische Kreativität ab Mitte des 16. Jahrhunderts.“
Nachdem sich die muslimischen Wissenschaftler ca. 200 Jahre lang intensiv mit den wissenschaftlichen Errungenschaften ihrer Vorgänger befasst hatten, begann ein Zeitalter eigener höchst originärer Erfindungen, konstatiert Prof. Sezgin. Dabei gehörte es zur Gepflogenheit muslimischer Wissenschaftler, immer ihre beispielsweise griechischen Quellen (der Antike) anzugeben und sie zu ehren. Und dank dieser Quellenangaben sind wir heute in der Lage, verlorene Gerätschaften und Werkzeuge sowie Textfragmente der alten Griechen zu rekonstruieren.
Diese Haltung steht in krassem Gegensatz zu der überheblichen Haltung des Abendlandes, die E. Wiedemann schon 1918 in Worte fasste: „Immer wieder begegnet man der Ansicht, dass die Araber durch Übersetzungen nur die vom Altertum erworbenen Kenntnisse von uns erhalten haben, ohne aber wesentlich Neues hinzuzufügen.“
Die 800 jährige kreativ-produktive Wissenschaftsgeschichte der Muslime wird weitgehend ignoriert, sodass diese ignorante Sichtweise schon in Schulbüchern Ausdruck findet. Dies betrifft nicht nur die Schulbücher des europäischen und amerikanischen, sondern auch die des arabisch-islamischen Kulturraums.
Prof. Fuat Sezgin aber räumt auf mit diesen überholten Annahmen und belegt in akribischer Kleinarbeit, wie das Wissen über Kriege, Reisende, Seefahrer, Händler, Kreuzzüge oder Botschafter nach Europa gelangte und seine Quellen dort unkenntlich gemacht wurden.
Nun liegt es an den Wissenschaftlern, die Wissenschaftsgeschichte neu zu schreiben, und an den Pädagogen, die Schulbücher dahingehend zu überarbeiten.