Die Türkisch-Islamische Synthese wirkt nicht nur als intellektuelle Strömung, sondern entfaltet ihre Wirkung auch in verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen. Durch unterschiedliche Mechanismen erlangt sie eine sichtbare Rolle in der Politik und Staatsverwaltung. Besonders in der Zeit nach 1980 spielen religiöse Gemeinschaften eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung dieser Ideologie in der Gesellschaft und bei der Bildung einer politischen Basis. Daher ist es sinnvoll, die gesellschaftliche Verbreitung dieser Synthese, die Rolle der religiösen Gemeinschaften in diesem Prozess und ihre Auswirkungen auf die Staatsführung näher zu betrachten.
Auch wenn die Türkisch-Islamische Synthese zunächst im Rahmen theoretischer Konzepte unter Intellektuellen und Denkern entstand, zeigte sie ab den 1980er-Jahren zunehmend konkrete Auswirkungen im gesellschaftlichen Leben. In diesem Prozess waren Bildungsreformen, kulturelle Aktivitäten und die Wirksamkeit religiöser Institutionen ausschlaggebend. Besonders nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurde sie vom Staat als gesellschaftlich einigendes Element unterstützt.
Änderungen in den Lehrplänen und die Einführung des verpflichtenden Religionsunterrichts bereiteten den Boden für die Erziehung der jungen Generation im Sinne der Türkisch-Islamischen Synthese. In dieser Zeit wurde die Bildung einer Identität, die türkischen Nationalismus mit dem Islam verknüpft, zur ideologischen Priorität der staatlichen Politik. In den Lehrplänen von Mittel- und Oberschulen wurde besonderer Wert auf die islamisch geprägten Epochen der türkischen Geschichte gelegt. Dabei wurde sogar die Behauptung aufgestellt, die islamische Zivilisation sei Bestandteil der Ursprünge der türkischen Nation. So wurden die Fächer „Geschichte“ und „Geographie“ in den Schulen nach dem Putsch (1980) umbenannt in „Nationale Geschichte“ und „Nationale Geographie“.
Auch die konservative und nationalistische Presse spielte eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung der Türkisch-Islamischen Synthese. Vor allem Artikel in Zeitungen und Magazinen beeinflussten die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Ideologie. Eines der herausragenden Medienorgane dieser Zeit war das Magazin Büyük Doğu (Großer Orient) von Necip Fazıl Kısakürek. Seine dort oft geäußerte „Idee des Großen Orients“ stellt den Islam als zentrales Element einer spirituellen Wiedergeburt der türkischen Gesellschaft dar. Gleichzeitig wurde durch diese Medienkanäle die Nostalgie für das Osmanische Reich neu belebt.
Die Rolle der religiösen Gemeinschaften und Strukturen
Die Verbreitung der Türkisch-Islamischen Synthese in der breiten Gesellschaft erfolgt vor allem durch religiöse Gemeinschaften. Indem sie religiöse und moralische Werte in den Vordergrund stellen, fördern sie die Akzeptanz der Synthese besonders in der unteren und mittleren sozialen Schicht.
Die Naqschbandiyya-Tradition und die Nurcu-Gemeinschaften (inspiriert von Said Nursi) sind prominente Vertreter, die die Türkisch-Islamische Synthese stützen und verbreiten. Sie repräsentieren sowohl die religiöse als auch die nationalistische Dimension der Synthese in der Gesellschaft. In den Artikeln von Mehmet Şevket Eygi findet sich häufig die Aussage „Türkentum gewinnt nur durch den Islam an Bedeutung“, was die ideologische Richtung dieser These unterstreicht. Die durch Schulen, Nachhilfeinstitute und Stiftungen aufgebauten sozialen Netzwerke dieser Gemeinschaften tragen zur Beständigkeit dieser Denkweise bei.
Durch ihre Verbindungen zur Politik ermöglichen die religiösen Gemeinschaften eine noch größere Verbreitung der Synthese. Parteien wie die „Partei der Gerechtigkeit“ (Adalet Partisi) und die „Nationalistische Bewegungspartei“ (MHP) arbeiten mit diesen Gemeinschaften zusammen, um ihre konservative Wählerschaft zu stärken. Die Soziologin Prof. Dr. Binnaz Toprak sagt hierzu: „Der Einfluss der Gemeinschaften auf politische Akteure wurde in den 1980er-Jahren zunehmend deutlicher.“ Besonders in ländlichen Gebieten nahm ihre Wirkung bei der Mobilisierung der Wählerschaft unübersehbar zu.
Auswirkungen auf die Staatsverwaltung
Das Verständnis der Türkisch-Islamischen Synthese führte auch zu Veränderungen in der ideologischen und institutionellen Struktur des Staates.
Das Budget und die Kompetenzen des Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) wurden ausgeweitet. In Predigten und Freitagsansprachen wurde die Perspektive der Türkisch-Islamischen Synthese betont. Auf diese Weise zeigte der Staat seine ideologische Ausrichtung offen. Prof. Dr. Mehmet Aydın beschreibt dies so: „Die Diyanet wurde als Instrument genutzt, um die Gesellschaft mit konservativen Werten in Einklang zu bringen.“ In dieser Zeit entwickelte die Diyanet eine national-konservative Rhetorik und verbreitete die Idee, dass das türkische Volk durch den Islam zu einer starken Nation geworden sei.
Nach dem Militärputsch 1980 integrierte das Regime die Türkisch-Islamische Synthese in seine Staatsdoktrin. In Berichten des Nationalen Sicherheitsrates wurde betont, dass diese Denkweise notwendig sei, um „moralische und nationale Werte bei der Jugend wiederzubeleben“. Dies wirkte sich direkt auf Lehrpläne und die Arbeitsweise öffentlicher Institutionen aus.
Auch die Bereiche Kultur und Kunst wurden nicht vernachlässigt. Historienserien, literarische Werke und Gedenkveranstaltungen stärkten den ideologischen Rahmen der Synthese. Ein Beispiel ist die Adaption der Romane von Kemal Tahir in Form historischer Fernsehserien durch den staatlichen Sender TRT Ende der 1980er-Jahre, in denen die osmanisch-türkische Identität mit islamischen Werten verwoben wurde.
Die Türkisch-Islamische Synthese ist somit nicht nur eine intellektuelle Strömung, sondern eine ideologische Ausrichtung mit tiefgreifenden Auswirkungen auf Gesellschaft und Staat. Der gesellschaftliche und politische Einfluss der religiösen Gemeinschaften trug maßgeblich dazu bei, diese Denkweise dauerhaft zu etablieren und in die ideologische Struktur des Staates zu integrieren.
Die heutige Bedeutung der Türkisch-Islamischen Synthese
Die Türkisch-Islamische Synthese bietet seit vielen Jahren einen ideologischen Rahmen, der die gesellschaftliche, politische und kulturelle Struktur der Türkei prägt. Auch im ersten Viertel des neuen Jahrtausends setzt sich dieses Verständnis – sowohl in der Türkei als auch in der türkischen Diaspora Europas – in unterschiedlicher Weise fort. Es ist sinnvoll, die aktuelle Stellung der Türkisch-Islamischen Synthese sowie ihre Auswirkungen auf die türkische Gesellschaft und die türkische Bevölkerung in Europa zu untersuchen. Denn ihr Einfluss auf den gesellschaftlichen Wandel in der Türkei und die Identitätsbildung innerhalb der Diaspora ist unbestreitbar.
Diese Ideologie wird heute nach wie vor stark in den Reden konservativ-nationalistischer Parteien und religiöser Gemeinschaften thematisiert. Das nationalistisch-konservative Lager versucht, kulturelle und religiöse Werte mit der türkischen Identität zu verschmelzen, um damit angeblich nationale Einheit und Solidarität zu fördern. Doch da Gesellschaften von Natur aus heterogen sind, ist der Erfolg dieses Ansatzes fraglich. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen:
Die Türkisch-Islamische Synthese tritt als ein wichtiger ideologischer Kitt in der Allianz zwischen der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) hervor. Die Rhetorik der Volksallianz (Cumhur İttifakı) verweist häufig auf das osmanische Erbe, islamische Werte und den türkischen Nationalismus. Der oft zitierte Ausspruch von Devlet Bahçeli, „Die Sitten der Türken werden vom Licht des Islams erhellt“, ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Synthese in der aktuellen politischen Sprache Ausdruck findet.
Der erweiterte Platz von Religionsunterricht im Lehrplan, die Betonung der osmanischen Geschichte in Bildungsprogrammen und Fernsehserien sowie die Fokussierung von Jugendorganisationen auf nationale und spirituelle Werte sind Bemühungen, diese Ideologie in der Gesellschaft zu verankern.
Auch im sozialen Leben zeigt sie sich in Praktiken wie der gemeinsamen Feier von nationalen Feiertagen und religiösen Festen. So sind etwa religiöse Inhalte in den Feierlichkeiten zum Tag der Republik am 29. Oktober Ausdruck dieser Synthese im öffentlichen Raum.
Die Türkisch-Islamische Synthese hat in der Türkei zu einem Bündnis zwischen Islamisten und Nationalisten geführt – jedoch hat sie die Gesellschaft stärker gespalten als je zuvor in ihrer Geschichte. In der Praxis hat sich gezeigt, dass sie selbst für die Mehrheit der Bevölkerung, die in einem Nationalstaat lebt, kein verbindendes Element sein konnte. Vielmehr hat sie zur politischen Polarisierung beigetragen. Diese Ideologie, die den Staat verherrlicht, hat nicht nur gesellschaftliche Vielfalt unterdrückt, sondern auch eine angemessene Entwicklung von Individualrechten und Freiheiten behindert, indem sie sowohl mit vorislamischen türkischen Glaubensvorstellungen als auch mit islamischen Staatsverständnissen in einem autoritären Sinn interpretiert wurde. Wie stark sie zur Entfernung der Türkei von demokratischen Werten und rechtsstaatlichen Normen beigetragen hat, ist ein Thema für wissenschaftliche Untersuchungen. Ebenso sollte man untersuchen, wie sehr sie die kurdische Bevölkerung – als eine der Gründungsgruppen des Landes – ausgegrenzt hat. Dass nicht-türkische und nicht-muslimische Gruppen durch diese Ideologie völlig marginalisiert wurden, ist ebenfalls eine Realität. Wenn die Türkei ein moderner Rechtsstaat sein will, braucht sie ein gemeinsames Fundament, das auf rechtlichen und ethisch-humanitären Werten basiert. Die kulturellen Identitäten und untergeordneten Zugehörigkeiten der Bevölkerungsgruppen dürfen dem nicht im Wege stehen. Angesichts der heutigen globalen Realität führt der Weg dorthin nur über einen pluralistischen, demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung. Die Türkisch-Islamische Synthese sollte nicht nur in dieser Hinsicht, sondern aus vielen Perspektiven kritisch beleuchtet werden. Einige Punkte lassen sich bereits wie folgt benennen:
- Die Vorstellung vom Staat und der Heiligkeit des Herrschers in den vorislamischen türkischen Staaten muss in diesem Zusammenhang diskutiert werden – ebenso wie die Rolle des Volkes darin.
- Die Gemeinsamkeiten zwischen der Türkisch-Islamischen Synthese und dem politischen Islam könnten erforscht werden.
- Es sollte auch untersucht werden, warum die Auffassung des „ewigen Staates“ (devlet-i ebet müddet) auch in den türkischen Staaten, die nach der Annahme des Islams von Türken gegründet wurden, Gültigkeit hatte.
- Die Vorstellung, ein Türke müsse zwingend hanafitischer Muslim sein, wirft Fragen zur Definition von „türkisch und muslimisch“ auf. Dass etwa Gagauzen in den Balkanstaaten oder sibirische Türken, weil sie nicht muslimisch sind, nicht als Türken gelten, ist kritikwürdig. Auch die Unterscheidung zwischen osmanischen hanafitischen Türken und den schiitischen Türken im safawidischen Iran – mit der impliziten Behauptung, der Iran sei weder türkisch noch muslimisch – verdient eine kritische Betrachtung. Denn dies ist kein objektives wissenschaftliches Faktum, sondern Teil einer politischen Wahrnehmung.
Einfluss in der türkischen Diaspora in Europa
Die Identitätsbildung ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die türkische Diaspora in Europa. Ziel ist es, sowohl eine Widerstandskraft gegenüber den Kulturen der Aufnahmegesellschaften zu entwickeln als auch die eigene kulturelle Identität zu bewahren.
Es lässt sich sagen, dass sich die Türkisch-Islamische Synthese in der türkischen Gemeinschaft Europas über Moscheen und Vereine institutionell verankert hat. Organisationen wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) fördern das Zusammenleben des Islams mit türkischer Identität und tragen so zur Fortsetzung dieser Synthese in der Diaspora bei.
Veranstaltungen zur Stärkung des kulturellen Zugehörigkeitsgefühls – etwa durch Jugendvereine organisierte Gedenktage wie der „Mevlana-Tag“ oder das „Gedenken an die Gefallenen von Dardanellen“ – dienen der Vermittlung historischer und religiöser Werte und stützen die ideologische Kontinuität dieser Synthese.
Auch bei politischen Beteiligungsprozessen und in Forderungen nach Rechten liefert die Synthese eine Motivationsgrundlage – zum Beispiel bei der Forderung nach islamischem Religionsunterricht oder der rechtlichen Anerkennung von Moscheen.
Der Einfluss der Türkisch-Islamischen Synthese auf die Identitätsprobleme türkischer Kinder in Europa wird auch zukünftig ein zentrales Thema bleiben. Denn es ist keineswegs einfach, sowohl die eigene kulturelle Identität zu bewahren als auch Teil der europäischen Gesellschaften zu sein. Wenn das Zugehörigkeitsgefühl, das auf dieser Synthese beruht, stärker wird, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Integration in die Mehrheitsgesellschaft haben könnte. Die ständige Koexistenz zweier widersprüchlicher Identitäten kann bei manchen Kindern unweigerlich zu einer Identitätskrise führen. So kann die Türkisch-Islamische Synthese für türkische Kinder in Europa sowohl einen Schutzraum bieten als auch ein Hindernis sein.
Diese Ideologie fungierte in Europa für viele Türken als Widerstand gegen gesellschaftlichen Anpassungsdruck – als eine Art Selbstschutz. Die eine Seite der Medaille ist, dass die jüngeren Generationen ihre Wurzeln nicht vergessen und die türkische Identität in Europa sichtbar machen. Die andere Seite ist die Frage, wie sie sich in der Gesellschaft, in der sie leben, verhalten und positionieren werden. Wird dieser Prozess ihre Entwicklung erleichtern oder durch einen inneren Widerspruch erschweren? Das wird die Zeit zeigen.
Letztlich ist es schwer, komplexe sozio-psychologische Probleme allein mit der Betonung auf Identität und nationalen Werten zu bewältigen. Die Türkisch-Islamische Synthese bleibt ein zentraler Schnittpunkt nationalistisch-konservativer Ideologien in der Türkei und hat sich zu einem Faktor gesellschaftlicher Polarisierung entwickelt. Besonders deutlich tritt sie in der Rhetorik konservativer Parteien zutage und wird durch Bildungs- und Kulturpolitik zusätzlich verfestigt. In der türkischen Diaspora Europas spielt sie sowohl eine schützende als auch eine integrationshemmende Rolle bei der Identitätsbildung.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Aus der Perspektive der Türkisch-Islamischen Synthese wurde im Demokratisierungsprozess des Landes „die Rolle des Volkes gestrichen, während die des Staates unterstrichen wurde“.
Literaturhinweis
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- Mehmet Şevket Eygi, “Türklük ve İslam”, Bugün Gazetesi, 1983.
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