Ruth Wodak ist eine österreichische Sprachwissenschaftlerin und Professorin für Sprachwissenschaften an der Universität Wien und an der Lancaster University. Sie hat ein interessantes und lesenswertes Buch über die Wirkung rechtspopulistischer Diskurse veröffentlicht.
Beim Lesen ihres Buches „Politik mit der Angst“ haben mich folgende Gedanken verfolgt:
Es ist wirklich unerträglich, wenn man auf Menschen trifft die von zweierlei gekennzeichnet sind: Unwissenheit und Intoleranz! Ich fragte mich im Laufe der Lektüre immer wieder: Ist der Mensch nicht erst dank seines Denkvermögens ein Mensch? Wie soll man mit jemanden vernünftig diskutieren, der seinen Verstand in den Dienst des Geredes auf Facebook oder Twitter stellt und propagandistisches Pamphlet wiederholt, aber gleichzeitig glaubt sogar komplexeste Sachverhalte durchschaut zu haben. Wer nicht so denkt, wie sie, wird entsprechend „schubladisiert“.
Wodak spricht in der Einleitung des Buches von zwei Annahmen: „Alle rechtspopulistischen Parteien instrumentalisieren eine Art von ethnischer, religiöser, sprachlicher, politischer Minderheit als Sündenbock für die meisten aktuellen Sorgen und Probleme. Sie stellen die jeweilige Gruppe als gefährlich dar, als Bedrohung „für uns“, für „unsere“ Nation. Dieses Phänomen manifestiert sich als „Politik mit der Angst“. Alle populistischen Parteien pflegen eine „Arroganz der Ignoranz“.“
Die Hauptfrage bleibt dabei, wie sie sich legitimieren. Wieso finden die populistischen Diskurse in der breiten Öffentlichkeit Gehör? Nach Wodak wird die Legitimation auf Autoritäten, moralische Bewertung, Rationalisierung und Mythopoesis berufen. Also sind diese vier Ebenen für die Legitimation ausschlaggebend. Die erste Legitimation „funktioniert durch Bezugnahme auf eine Autorität: eine Person, Tradition, Norm oder ein Gesetz. Moralische Bewertung bedeutet demnach Legitimierung durch Wertesysteme. Rationalisierung ist Legitimation durch Bezug auf Wissensansprüche oder scheinbar rationale Argumente. Mythopoesis ist Legitimation durch Beispielerzählungen: oft kleine Geschichten oder Fragmente von Narrativen über Vergangenheit oder Zukunft.“
Um das Phänomen „Populismus“ zu charakterisieren, spricht Wodak von drei zentralen Konzepten:
Entscheidende Bedeutung hat der Begriff „das Volk“. Gemeint ist hier eine reine Gemeinschaft. „Es gibt viele Bezüge zur Metapher der „Nation als Körper“ (Volkskörper). Dieses Kernland richtet sich überwiegend antagonistisch gegen „Andere“, wozu auch „Eliten“ (ethnische oder religiöse), „Minderheiten“, „Flüchtlinge“, oder „Migranten“ gehören können. Der Begriff „Kernland“ (oder Heimat, Vaterland) richtet sich nach innen und schließt dämonisierte „Andere“ aus. Populismus kann auch als Syndrom mit einer Nähe oder Distanz erzeugende Dynamik charakterisiert werden. Diese Dynamik schafft eine antagonistische Beziehung zwischen dem Volk, der/den Elite/n und den (gefährlichen) „Anderen“, also Distanz (von den Anderen/Denen) und Nähe (zu dem Volk/Uns). Manchmal sind die „Anderen“ ganz allgemein Eliten, manchmal sind es Ausländer, die Muslime, die Juden oder die Roma. Jedes dieser Elemente erhält durch die antagonistische Beziehung zu einem anderen Element seine jeweilige Bedeutung.
Die Argumente über die Gefahr und Bedrohung werden klug aufgebaut. Hierfür wird z.B. das semantische Feld des Islams von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) wie folgt benutzt: Um den Islam herum „wachsende Zahl von Muslimen in Österreich, Religionsfreiheit und ihr Missbrauch durch Muslime, Muslime und die Rechte der Frauen, (radikale) muslimische Erziehung in Österreich, der Koran und die Anstiftung zu Gewalt („Jihad“), Minarette als Symbol muslimischer Gewalt.“ So werden alle Dimensionen des Islams in einem deutlich negativen Licht dargestellt; so sei zum Beispiel die muslimische Erziehung ausschließlich „radikal“ oder die Muslime würden die Religionsfreiheit missbrauchen.
Wenn man diese Argumente ständig wiederholt und durch die Medien immer wieder auf die Tagesordnung bringt, zeigt sich natürlich eine entsprechende Wirkung in der Öffentlichkeit.
Dabei werden zwei Dimensionen abgegrenzt, die rechtspopulistische Parteien definieren: Autoritarismus und die sogenannte negative Identität. Diese beiden Hauptachsen könnten weiter unterteilt werden in vier Gruppen von Parteien: fremdenfeindliche repressive, repressive, reaktionäre und fremdenfeindliche reaktionäre.
Die soziale Konzeption der autoritären Dimension beinhaltet eine utopische Ideologie, die eine ideale Zivilisation zur Folge hätte – in Form einer Stadt, eines Ortes oder, im Extremfall, der ganzen Welt. Kulturelle politische Identität ist durch Zugehörigkeit zu dieser utopischen Gesellschaft bestimmt. Negative Identität schließt daher jene aus, die als anders wahrgenommen werden.
Die reaktionäre Komponente umfasst die Rückkehr zu einer traditionellen Lebensweise, mit rigider Moral und Werten. Das repressive Element betont Ideologien von Recht und Ordnung, einen starken Staat und eine autoritäre Führerpersönlichkeit. Die Dimension der negativen Identität stellt „unsere Gesellschaft“ den gefährlichen „Anderen“ gegenüber. Schließlich behauptet der populistische Diskurs, dass die Macht sich dem Willen des (willkürlich definierten) „Volkes“ unterordnen sollte.
Warum es so ist, erklärt Ruth Wodak in ihrem wissenschaftlich fundierten Buch deutlich und gibtdem Leser hilfreiche Erklärungen. Anhand ihrer Darstellungen kann man die rasante Entwicklung der extremistischen Gruppen und die Wirkung populistischer Diskurse sowohl in europäischen Ländern als auch in vielen muslimischen Ländern genauer erklären, auch wenn sie sich nahezu ausschließlich mit dem Phänomen Rechtsextremismus befasst. Solange zumindest die Mehrheit in einer Gesellschaft den Populismus, der sich durch Lug und Betrug speist, nicht durchschaut und ihm blindlings folgt, wird die Gesellschaft mit Angst vor anbahnender Spaltung bzw. Zerrissenheit leben müssen.
Während des Lesens habe ich mich immer wieder gefragt, ob diese Feststellungen, die für den Rechtsextremismus gelten, nicht auch für andere Extremismen wie Islamismus oder Salafismus gelten? Denn der Islamismus bedient sich die gleichen Mechanismen, wenn er die Politik auf Symbole reduziert und in Diskussionen populistisch argumentiert. Dementsprechend verwundert es mich auch nicht mehr, dass der Populismus auch in vielen muslimischen Ländern hohen Zuspruch bekommt. Die Massen unterstützen wider besseres Wissen Politiker, die der Korruption und Lügerei überführt wurden, als ob ihr Denken einer Zentrale zugeschaltet und von dort aus dirigiert wird.
Schubladendenken, das Schüren von Ängsten jeglicher Art, Stigmatisierung, Polarisierung, Feindbild, Sündenbock und Pervertierung der eigenen Religion sind ja die wesentlichen Gemeinsamkeiten der Rechtsextremisten und Islamisten. Solche Diskurse und ihre praktischen Manifestationen im gesellschaftlichen Leben sind sehr gefährlich und zugleich eine große Herausforderung für die gesamte Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen konstitutionellen Verfassung zu sehen.
Nur wer denkt, wird auch hinterfragen, und sich nicht für Populismus und Propaganda instrumentalisieren lassen.