„Vielleicht ist er nur leicht damit in Berührung gekommen. Dann braucht Sarin eine Weile, um die Selbstregulierungsfunktion von Drüsen und Muskeln zu zerstören. Das ist es, was dich tatsächlich umbringt. Ob es sechs Monate oder sechs Sekunden dauert, die Organe werden überbeansprucht und können die Atmung nicht länger aufrechterhalten.
Beide Agenten überdachten einen Moment lang die tödliche Gefahr der Substanz, mit der sie es zu tun hatten. Welcher Feind darüber verfügen und wo er zuschlagen mochte.“
Dieser kleine Textausschnitt des hochspannenden Thrillers von Matt Rees „Die Damaskus-Connection“ fasst die aktualitätsbezogene Thematik dieses Romans zusammen.
Im Zentrum steht ein grausamer chemischer Stoff: Nervengas. Mehrfach wurde dieser chemische Kampfstoff im Irak und in Syrien eingesetzt und tausende unschuldiger Menschen erlitten einen qualvollen Tod.
Aber wie kommt es zum Einsatz dieses verheerenden Giftgases? Welche kriminellen Machenschaften stecken dahinter? Von diesen schmutzigen Geschäften im Schatten des Bürgerkrieges in Syrien und ihrer weltweiten Vernetzung handelt dieser Roman. So spielen die meisten Szenen nicht im unmittelbaren Bürgerkriegsumfeld, sondern in den USA, besonders in New York.
Einige Veteranen aus der US-Armee hatten schon in Syrien, Afghanistan und dem Irak Dienst geleistet. Als sie als verletzt oder heil nach Hause zurückkehrten, mussten sie oft enttäuschende Erfahrungen machen und ihr Leben neu organisieren. Sie suchten neue Zielsetzungen und schlugen unterschiedlichste Wege ein.
Einige wollen durch eine Sarin-Attacke den US-Präsidenten und Diplomaten aus allen Ländern der Welt im UN-Gebäude in New York töten. Das Sarin sollte während der Rede des Präsidenten freigesetzt werden. Um den Anschein zu erwecken, dass die syrische Regierung dahinterstecke, hatten sie dem syrischen Botschafter den Befehl zukommen lassen, vor der Ansprache des amerikanischen Präsidenten den Saal mit den syrischen Diplomaten zu verlassen. Dem Deutschen Tom Frisch, der alles mit anderen amerikanischen Veteranen organisiert hatte, gelingt der Anschlag nicht. In letztem Moment, wie in fast allen Thriller-Filmen, wird der große Angriff diesmal vom Special Agent Verrazzano verhindert.
Der Hauptprotagonist Dominic Verrazzano ist ein gut ausgebildeter Top-Agent und arbeitet für die Einwanderungs- und Vollzugsbehörde (ICE) des Ministeriums für innere Sicherheit in den USA.
„Während eines monatelangen Überlebenstrainings in Colonel Wyatts Spezialeinheit am Amazonas und in Ostafrika war Verrazzano zum Scharfschützen und erfahrenen Nahkämpfer geworden. Darüber hinaus hatte er einen Intensivkurs in Notfallmedizin erhalten. Als Quanah und er sich später in Nahen Osten und im Kaukasus als Waffenhändler ausgaben, um Bandenführer und kleinere Despoten zu erwischen, hatte er zudem viel über Waffenelektronik gelernt, und wie man in die entsprechenden Systeme eindrang. Er sprach Arabisch, Russisch und Serbisch.“
Dr. Amy Weston war Chemiewaffen-Inspektorin. Sie untersuchte im Auftrag der UN die Giftgasproduktion in Syrien und kümmerte sich hauptsächlich um das Nervengas. Kurz vor ihrem Treffen mit dem Agenten Verrazzano wird sie im Aufzug des Gebäudes erschossen, wo sich auch das im ICE-Büro befindet. Sie hatte Verrazzano etwas Wichtiges über das Nervengas mitteilen wollen.
Es wird dann herausgestellt, dass der Mörder aus dem Personalverzeichnis des Verteidigungsministeriums stammt und ein Veteran ist. Im Roman geht es also hauptsächlich um viele Elitensoldaten der USA, die in Afghanistan, dem Irak oder Syrien eingesetzt waren. Einige haben mit Dschihadisten Hand in Hand Geschäfte u.a. mit chemischen Waffen und Panzerabwehrraketen gemacht.
Verrazzano und seine Mitagenten versuchen mit allen Mitteln die Hintermänner und geplante Anschläge mit dem Nervengas herauszufinden und zu verhindern, indem sie mit dem FBI und der NSA zusammenarbeiten.
Besonders die Veteranen, die verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt waren, litten unter immensen psychischen Problemen. Im Roman wird dies ausführlich beschrieben. In diesem Zusammenhang erzählt z.B. der ICE-Agent Kinsella: „Ich habe manchmal Albträume mit Terroristen, die so was wie Sarin in der City freisetzen.“
Martin Chavez, Veteran und IT-Spezialist, verliert seine Beine im Irak-Krieg und lebt mit Rollstuhl. Er berichtet über seinen seelischen Zustand: „Ein Mann konnte sich womöglich gelassener seinen Tod vorstellen, als ein Leben zu akzeptieren, das zu nichts nütze war.“ (S.44) Er versucht mehrmals, Selbstmord zu begehen, schafft es aber nicht. Seine Familie verhindert es jedes Mal. Die Gespräche mit seiner Frau und den Kindern offenbaren, unter welchen schweren psychischen Umständen die Veteranen leben mussten.
Der Veteran Kyle möchte Chaves helfen: „Schließlich hätte ich selbst fast meinen verdammten Verstand verloren. Albträume, Schweißausbrüche. Ich stand die ganze Zeit unter Strom. Wenn irgendein Scheißer mein Bier umstieß, hab ich ihm die Zähne eingeschlagen. In Indiana habe ich dafür neunzig Tage gesessen. Ich war nur ein Stück Scheißer und konnte mich nicht mal selbst umbringen. Ein absoluter, verdammter Loser war ich. (…) Ich habe einen Job bei einer privaten Sicherheitsfirma gefunden. Das hat mir geholfen. (…) Ich will den gleichen Schutz für dich, Mann. Ich will, dass du zu uns kommst.“ Kyle versucht ihn zu überzeugen und kritisiert die Politiker in den Entscheidungsgremien: „Die dienen nicht, die bedienen sich. Wer dient wirklich? Leute wie du ich. Und jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns was zurückholen.“
An einer Stelle sagt Kyle: „Die Dinge ändern zu wollen, das habe ich hinter mir. Diese Scheißkerle kriegen jetzt ein bisschen was von der Hölle zu spüren, durch die ich gegangen bin.“ Er wollte mit Sarin alle töten, „weil Veteranen wie ich völlig leer ausgehen, wenn sie nach Hause kommen.“
Die Motivation der Syrers Nabil Allaf, der mit amerikanischen Veteranen zusammenarbeitet, ist nicht anders: „Lass es brennen, so, wie ich all die Jahre als Sklave des Diktators gelitten habe.“
Wir erfahren in diesem Roman nicht nur, wie die Reise des Nervengases ursprünglich aus dem Irak nach Damaskus und von dort nach New York abläuft, sondern auch etwas über die gemeinsamen Charakterzüge der Dschihadisten, Gangster und Auftragskiller… egal ob sie Abu Jihad oder Nabil Allaf oder Wyatt heißen: Rache, Geld und Macht.
Sehr eindrucksvoll wird in diesem Roman die Psyche traumatisierter Kämpfer dargestellt, die sich bei amerikanischen Veteranen, Dschihadisten oder IS-Terroristen wohl kaum unterscheidet. Psychische Extremsituationen, Einsatz bis zum Äußersten, Verletzungen, mangelnde Anerkennung und fehlende Perspektiven im bürgerlichen Leben führen oft dazu, dass Handlungsstrategien des Krieges weiterverfolgt werden und persönliches Leiden auf diese Weise gerächt werden soll.
Insgesamt ist es ein sehr lohnender Roman. Er ist flüssig und mitreißend geschrieben, so dass man ihn in einem Zug lesen kann. Er spricht alle an, die sich für die komplexen Hintergründe des Kriegsgrauens interessieren, für die eigentlichen Drahtzieher und für die unsichtbaren „Connections“.
Muhammet Mertek