Eine türkische Redewendung bringt auf den Punkt, worüber in unserer heutigen Gesellschaft dringend gesprochen werden muss. Sie lautet: „Zurnanın zırt dediği delik burası“, was wörtlich übersetzt bedeutet: „Das ist das Loch, in dem die Zurna (ein traditionelles Blasinstrument) das schrille Geräusch macht.“ Sinngemäß könnte man sagen: „Das ist der entscheidende Punkt“ oder „Hier zeigt sich der wahre Kern der Sache.“ Dieser Moment der Wahrheit ist unbequem, aber unvermeidlich – und genau hier setzt die Notwendigkeit an, gesellschaftliche Tabus aufzubrechen und eine offene Diskussion zu führen.
In letzter Zeit beobachte ich in meinem Umfeld eine zunehmende Zurückhaltung, wenn es um die Herausforderungen von Migranten oder Asylbewerbern geht. Viele Menschen, insbesondere Deutsche, scheinen sich davor zu fürchten, kritische Themen offen anzusprechen. Ähnliches gilt für die Diskussion um die kriegerischen und menschenverachtenden Szenen, die sich im Kontext der Politik der Netanyahu-Regierung in Israel abspielen. Diese Zurückhaltung scheint oft weniger aus Desinteresse zu resultieren, sondern vielmehr aus Angst: der Angst, als rassistisch, rechtsextrem oder antisemitisch abgestempelt zu werden.
Es ist jedoch wichtig, eines klarzustellen: Kritik an Muslimen oder muslimischen Migranten ist nicht automatisch antimuslimischer Rassismus. Ebenso wenig ist Kritik an der menschenverachtenden Politik der Netanyahu-Regierung oder der israelischen Regierung per se Antisemitismus. Vielmehr sollte uns bewusst sein, dass die Politik Israels in erheblichem Maße zur Entstehung und Verfestigung von Antisemitismus beiträgt. Diese Tatsache anzuerkennen, ist ein entscheidender Schritt, wenn wir Antisemitismus ernsthaft bekämpfen wollen. Wir dürfen nicht aus Angst vor Missverständnissen oder Stigmatisierung aufhören, die Ursachen des Problems offen anzusprechen.
Kein Volk oder keine Regierung dieser Erde ist unantastbar oder privilegiert. Keine weltanschauliche, religiöse oder ethnische Gruppierung darf von berechtigter Kritik ausgenommen werden – seien es Muslime, Juden, Christen, Buddhisten, Geflüchtete oder andere ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Jede Politik muss hinterfragt und kritisch beleuchtet werden können, einschließlich der israelischen. Es geht nicht um einen Kuschelkurs oder einen Konfrontationskurs, sondern um einen Kurs der Realität und der Vernunft.
Unser Grundgesetz bietet die Grundlage, auf der wir als Gesellschaft zusammenfinden können. Es sollte für alle gleichermaßen verbindlich sein und den Rahmen für eine offene Meinungsäußerung bieten. Menschen müssen ohne Angst und Tabus in der Lage sein, ihre Ansichten mutig und frei zu äußern. Diese Freiheit ist nicht nur ein Recht, sondern eine Verpflichtung, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Leider sehen wir oft, dass Probleme ignoriert werden, weil sie von der falschen Seite angesprochen werden. Die Herausforderungen von Migranten oder Menschen muslimischer Herkunft werden beispielsweise häufig ausgeblendet, weil Parteien wie die AfD sie thematisieren. Gleichzeitig werden die menschenverachtenden Handlungen der Netanyahu-Regierung unter dem Schutzmantel des Antisemitismus verschleiert. Beides steht im Widerspruch zu den grundlegenden Werten einer offenen und fairen Gesellschaft.
Ein entscheidendes Element, das wir dabei nicht aus den Augen verlieren dürfen, ist die Selbstkritik. Sie ist ein essenzielles Gut für jede Gesellschaft und jedes Individuum. Wer nicht in der Lage ist, sich selbstkritisch zu hinterfragen, wer sich ständig als Opfer stilisiert und die Verantwortung ausschließlich bei anderen sucht, muss sich Kritik gefallen lassen – unabhängig davon, ob er oder sie einen migrantischen, muslimischen oder jüdischen Hintergrund hat. Nur durch diese Selbstreflexion können wir als Gesellschaft wachsen.
Das ist der entscheidende Punkt: Mutige und offene Kritik, die weder von Angst vor Stigmatisierung noch von Tabus eingeschränkt wird, ist essenziell, um gesellschaftliche Probleme und Missstände – unabhängig von Herkunft, Religion oder politischem Kontext – effektiv anzugehen. Nur so können wir den wahren Kern der Sache erkennen und gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten.