Im Jahre 1325, 25 Jahre, nachdem Marco Polo von seiner Reise in den Fernen Osten zurückgekehrt war, verließ Ibn Battuta den Maghrib (das heutige Marokko). Ibn Battuta wurde später auch ‚Marco Polo des Orients‘ genannt. Dieser Titel besagt zum Einen, dass Ibn Battuta nie die Bedeutung eines Marco Polo erlangte. Andererseits verdeutlicht er aber auch, dass beide Persönlichkeiten berühmte Entdecker waren, die die Horizonte ihrer Zeit erweiterten. In der Tat weisen die Biografien Ibn Battutas und Marco Polos einige sehr auffällige Parallelen auf.
Marco Polo und Ibn Battuta bereisten viele Länder im Abstand von weniger als 50 Jahren. Dabei profitierten sie besonders vom Pax Mongolia (mongolischen Frieden), der große Teile Zentralasiens vereinigte (und zerstörte). Indien und China befanden sich zu jener Zeit in einem relativ stabilen Zustand. Marco Polo reiste sozusagen auf dem Höhepunkt des Pax Mongolia, während Ibn Battuta zu einer Zeit unterwegs war, als bereits die ersten Auswirkungen der Pest zu spüren waren. In vielen seiner Schilderungen, insbesondere in denen älterer Städte Persiens und Kleinasiens, werden die durch die Eroberungsfeldzüge der Mongolen angerichteten Zerstörungen ausführlich beschrieben. Auch wenn Marco Polo und Ibn Battuta nicht auf denselben Routen reisten, erhält der Leser beider Reiseberichte doch einen guten Eindruck vom Wandel, dem jene Länder im 13. und 14. Jahrhundert unterlagen. Zum Leidwesen der Historiker geht Marco Polo nicht auf die gleichen Dinge wie Ibn Battuta ein. Ihm lag vor allem daran, die Länder und das, was in ihnen produziert wird, zu beschreiben. Kommentare zu den Zerstörungen, die viele Passagen der Reiseberichte Ibn Battutas würzen, sucht man in seinen Werken vergeblich.
Das Reisen in Ländern, die vom Unglück heimgesucht wurden
Schon kurz nach seiner Abreise aus Mekka Richtung Irak stößt Ibn Battuta auf die ersten Anzeichen des Niedergangs. Er verlässt die Karawane, um nach Basra zu reisen, das einst eines der Zentren der islamischen Gelehrsamkeit war. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass er nur in Begleitung einer großen Gruppe Einheimischer reisen kann, die ihn vor möglichen Übergriffen schützt. Und tatsächlich wird eine Gruppe, die nach ihm dieselbe Route benutzt, von Bewohnern der Sümpfe überfallen und ausgeplündert. Zwar spricht Ibn Battuta es nicht direkt an, aber allein die Tatsache, dass das Reisen ohne eine bewaffnete Eskorte und ohne die ständige Furcht vor Straßenräuberei undenkbar war, lässt darauf schließen, dass der Zentralstaat zu jener Zeit sehr geschwächt war.
Bei seiner Ankunft in Basra wird Ibn Battuta mitgeteilt, dass sich die große Ali-Moschee, die früher einmal mitten im Stadtzentrum gelegen hatte, nun ein Stück außerhalb der Stadt befinde. Grund dafür sei, dass die Stadt geschrumpft sei. Ein weiterer Beleg für den sinkenden Status der Stadt Basra besteht darin, dass die Rede des Vorbeters beim traditionellen gemeinsamen Freitagsgebet grammatikalische Fehler aufweist. Ibn Battuta erfährt, dass niemand in der Stadt ein grammatikalisch korrektes Arabisch reden oder schreiben kann. Und das in der Stadt, die im Laufe ihrer Geschichte so prägend für die arabische Sprache gewesen war! Alles deutete also darauf hin, dass diese Stadt und die angrenzende Region der Kontrolle der Zentralmacht entglitten, von ihrer Bevölkerung verlassen worden und nicht mehr länger ein Zentrum der Gelehrsamkeit war. Von der anderen ehemals berühmten Garnisonsstadt Persiens, Kufa, schreibt Ibn Battuta, dass sich auch ihr Prestige und ihre Größe im Niedergang befanden: „Obwohl sie einst die Gefährten des Propheten, Gelehrte und Theologen beherbergte und Ali als Hauptstadt diente, ist Kufa heute verfallen. Schuld daran sind die Überfälle arabischer Nomaden, die in der Umgebung leben.“ Auch die Tatsache, dass eine in besseren Tagen so angesehene Stadt derart verwundbar wurde, dass sogar eine Bande von Straßenräubern es wagen konnte, sie zu attackieren, spricht zweifellos für die Schwäche der Zentralmacht.
Auch der westliche Teil Bagdads liegt zu jener Zeit teilweise in Trümmern: „Das Krankenhaus ist ein sehr großes verfallenes Gebäude, von dem nur noch die Grundmauern stehen.“ Auch auf seiner Reise entlang des Tigris, in Zentralasien und in Gebieten Nordindiens findet Ibn Battuta weitere verfallene Städte. Zwar schreibt auch schon Marco Polo, dass bestimmte Städte zerstört seien. Ibn Battuta geht jedoch mehr ins Detail. Bukhara, einst die Hauptstadt der Länder jenseits des Flusses Oxus, ist weitgehend zerstört. Samarkand ist eine einzige Ruine, und in Balkh verwüstete Dschingis Khan auf der Suche nach Schätzen sogar eine Moschee. Weitere kleinere Städte sind ebenfalls dem Erdboden gleichgemacht und ganze Landstriche unbewohnbar gemacht worden.
Das besondere Interesse für Wunder
Sowohl Marco Polo als auch Ibn Battuta beschäftigen sich beide sehr gerne mit dem Thema ‚Wunder‘. Besonders diejenigen Wunder, die ihre eigene Religion bestätigen, haben es ihnen angetan. Marco Polo erzählt eher sehr ausführlich und enthusiastisch von ihnen, während Ibn Battuta im Allgemeinen eher skeptisch urteilt und Zurückhaltung zeigt. Seine ‚wundersamen Geschehnisse‘ erscheinen uns oft nicht wirklich wundersam und sind daher auch glaubhafter.
Er erzählt zum Beispiel davon, dass der Kalif Walid I. die Omayyaden-Moschee in Damaskus auf einen Bereich erweitern wollte, der zu einer Kirche gehörte. Die griechisch-orthodoxen Christen weigerten, sich das Land zu verkaufen, denn sie glaubten, wer auch immer die Kirche zerstören würde, würde mit Wahnsinn geschlagen werden. Der Kalif entschied sich, ein Exempel zu statuieren und begann, die Kirche mit eigener Hand niederzureißen. Ibn Battuta beschreibt uns dieses Ereignis: „Die Muslime sahen dies und folgten seinem Beispiel. Dadurch bewies Gott, dass die Vorstellung der Christen falsch war.“ Obwohl Ibn Battuta nicht direkt sagt, dass es sich hier um eine Wunder handelt, ähnelt sein Sprachstil hier doch sehr den Beschreibungen Marco Polos, der seinerseits von Wundern berichtet, die Christen in den islamischen Ländern wirkten.
Viele der von Marco Polo beschriebenen Wunder polemisieren gegen die Muslime, und auch viele der von Ibn Battuta dargestellten Wunder haben einen polemischen Unterton; nicht gegenüber den Christen, sondern in erster Linie gegenüber den Schiiten, die ihm verhasst waren. Er erzählt zum Beispiel von einem Mann, den die Schiiten für den Mahdi (den erwarteten Messias) hielten und dem sie die Fähigkeit zuschrieben, Wunder wirken zu können. Natürlich widerlegt er deren Behauptungen innerhalb seines Berichts. Er besucht auch das Maschhad Ali in der Stadt Najaf, die nach Auffassung der Schiiten die Grabstätte Alis beinhaltete. Die Einheimischen erwähnen ihm gegenüber, dass es am Grabmal bereits zu einigen Wunderheilungen gekommen sei. Dies beweise eindeutig, dass es sich hier wirklich um das Grab Alis handele. Ibn Battuta sagt dazu, dass „diese Meinung unter ihnen weit verbreitet ist und dass mir auch vertrauenswürdige Persönlichkeiten von diesen Heilungen berichtet haben. Ich selbst war aber in diesen Nächten nie anwesend.“ Er gibt an, Behinderte gesehen zu haben, die auf eine der Wundernächte warteten. Ibn Battuta weist die Behauptungen zwar nicht zurück, weiß aber wohl nicht recht, ob er ihnen Glauben schenken soll.
Man mag einwerfen, dass Ibn Battuta generell sehr zurückhaltend war und nicht gern Dinge bestätigte, die er nicht wirklich mit eigenen Augen gesehen hat. Nichtsdestotrotz ist er an anderer Stelle längst nicht so kritisch. In der Stadt Shiraz besucht er, aus Gründen, die im Folgenden darzulegen sind, beispielsweise den „berühmten Scheich Majd ad-Din Ismail, ein Wunder seiner Zeit…, (der) die größte Wertschätzung des Sultans des Irak genießt.“ Dann beschreibt er, dass dieser Scheich Richter einer irakischen Provinz war, die sich weigerte zum Glauben der Schia überzutreten. Der Sultan war daraufhin sehr verärgert und ließ ihn zu seiner Sommerresidenz bringen, wo er ihn seinen scharfen Menschen Hunden zum Fraß vorwerfen wollte. „Als die Hunde nun von der Leine gelassen wurden, attackierten sie ihn nicht, sondern wedelten freundlich mit ihren Schwänzen.“ Der Sultan entschied daraufhin, die Doktrin der Schia zurückzuweisen. Diesen Vorfall beschreibt Ibn Battuta euphorisch als ein Wunder, ohne dass er selbst Augenzeuge gewesen wäre. Auch Ibn Battuta scheint also nicht allzu lange gezögert zu haben, ein Wunder anzuerkennen, wenn es nur seinen Interessen diente.
Fremde Völker
Ibn Battuta ist – wie bereits erwähnt – Christen gegenüber im Allgemeinen recht tolerant, wenngleich er an einigen Stellen aber auch abfällige Bemerkungen über sie fallen lässt. Seine negative Haltung gegenüber den Schiiten entspricht ganz dem Urteil Marco Polos über die Muslime. Ibn Battuta beschreibt sie als „schreckliche Menschen, die die zehn Gefährten und jeden Menschen mit Namen ´Umar hassen“ oder auch als „Menschen, die die zehn verunglimpfen“. Er sagt, in der Stadt Sarmin dürfe man das Wort ‚zehn‘ noch nicht einmal in den Mund nehmen. An einer Stelle weigert er sich eine Stadt zu betreten, denn „ihre Einwohner sind fanatische Schiiten“. Diese Haltung ist sicherlich vor allem auf seine Zugehörigkeit zur Rechtsschule der Malikiten zurückzuführen. Eine weitere Ähnlichkeit zwischen den Arbeiten der beiden Reisenden besteht darin, dass sie beide besonders gern den Charakter und das Auftreten der Menschen, denen sie begegneten, beschreiben. Im Allgemeinen ist Ibn Battuta diesen gegenüber sehr freundlich eingestellt. Die Bewohner Mekkas beispielsweise charakterisiert er als sehr Fremden-freundlich und als sehr gütig. Die Bewohner von Schiras (Persien) seien sehr fromm und rechtschaffen, die Frauen von Sanaa (Jemen) tugendhaft und tüchtig. Weiterhin führt er aus: „Auf der ganzen Welt habe ich nirgends Menschen gesehen, die freundlicher und großzügiger gegenüber Fremden waren, als die Bewohner der Oase Chwarism (Persien).“ In Hinar sind die Frauen schön und tugendhaft.“
Wenn Ibn Battuta auf Menschen trifft, die er nicht leiden kann, bemüht er sich immer, Gründe für seine Abneigung zu nennen. In Taiz (Jemen) zum Beispiel „sind die Menschen hochnasig, unverschämt und arrogant. Dies trifft auch auf andere Städte zu, in denen Könige residieren.“ Die Einwohner Bukharas (Usbekistan) „werden gering geschätzt. Ihre Aussage wird weder in Charism (Persien) noch anderswo akzeptiert, da sie als fanatisch, falsch und nicht der Wahrheit zugeneigt gelten.“
Fazit
Ibn Battuta und Marco Polo schrieben ihre Reiseberichte aus unterschiedlichen Gründen. Sie gehörten unterschiedlichen Religionen an, besaßen unterschiedliche Hintergründe und waren unterschiedlichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Trotzdem hatten sie offenbar auch gleiche Interessen und reagierten ähnlich auf äußere Umstände, die ihnen begegneten. Zwar weichen ihre Werke auch in mancher Hinsicht voneinander ab. Die bestehenden Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen lassen jedoch darauf schließen, dass die kosmopolitische eine Welt, zu der sie sich beide zugehörig fühlten, wirklich existiert.
A. Caras