Der Islam ist eine Religion, die auch in der westlichen Welt rasante Wachstumsraten aufweist. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Koran, das heilige Buch der Muslime, die Neugier unzähliger Nichtmuslime geweckt. Doch leider hat das gestiegene Interesse auch seine Schattenseiten. Denn nicht selten ist der Umgang mit dem Koran von Missverständnissen und falschen Vorstellungen geprägt. Problematisch ist vor allem, dass manche radikalen Gruppierungen und KritikerKritiker des Islams Koranverse aus dem Zusammenhang reißen und sie ihren politischen Zielrichtungen anpassen. Hinzu kommt, dass viele Interessierte ihre Beschäftigung mit dem Koran mit einer Übersetzung des Buches beginnen. Diese Lektüre wird aber ohne Vorkenntnisse oft als sehr schwierig empfunden. Dem Textfluss zu folgen ist gar nicht so einfach, und die Bedeutung des Textes erschließt sich dem Leser auch nicht immer sofort. Begleitende Literatur, die die koranischen Konzepte und Begriffe erläutert, gibt es natürlich zuhauf. Doch oft müssen sich Laien erst durch dicke Wälzer kämpfen, bevor sie Antworten auf ihre im Grunde simplen Fragen finden. Der folgende Beitrag versucht, dieses Problem zu lösen, indem er sich auf einige wesentliche Kernthemen beschränkt, die jeweils kurz angeschnitten werden.
Was ist der Koran?
Das Wort Koran stammt aus dem Arabischen. Es ist aus der Wortwurzel q-r-a gebildet und bedeutet: etwas, was immer wieder sorgfältig und gewissenhaft gelesen oder rezitiert wird. Als Buch hat der Koran ungefähr 600 Seiten in arabischer Sprache, er besteht aus 114 Suren mit insgesamt 6.236 Versen.1 Die längste Sure geht über 48 Seiten und die kürzeste besteht aus nur einer Zeile.
Der Koran ist der religiöse Text von ca. 1,4 Milliarden Muslimen weltweit.2 Muslime glauben, dass der Koran buchstabengetreu das Wort Gottes wiedergibt, welches dem Propheten Muhammad durch den Erzengel Gabriel offenbart wurde. Der Prophet Muhammad ist dem Islam zufolge der letzte Gesandte Gottes in einer langen Reihe von Propheten. Die Koranverse wurden über 23 Jahre hinweg zu unterschiedlichen Gelegenheiten und an unterschiedlichen Orten offenbart; manche von ihnen als Antworten auf konkrete Fragen, andere mit historischen Bezügen. Seit Beginn der ersten Offenbarung leben die Muslime nach dem Koran und rezitieren ihn. Der Koran ist die erste und maßgebliche Quelle des islamischen Rechts. Interpretiert wird er im Lichte der Sunna, der Praxis des Propheten, die die zweite maßgebliche Quelle der islamischen Lehre darstellt. Die AufzeichnungAufzeichnung all dessen, was der Prophet Muhammad sagte, tat, oder billigte, wird in der islamischen Terminologie Hadith genannt.3
Wie begann die Offenbarung des Korans?
Im Jahr 610 n.Chr. hatte sich der damals 40-jährige Prophet Muhammad, Friede mit ihm, zur inneren Einkehr allein in eine Höhle nahe der Stadt Mekka zurückgezogen. Dort suchte ihn der Erzengel Gabriel auf und befahl ihm: „Lies!“ Als der Gesandte antwortete, dass er nicht lesen könne, drückte ihn der Engel mit aller Kraft an sich, bis der Gesandte fast ohnmächtig wurde. Dann wiederholte er den Befehl ein zweites und ein drittes Mal. Beim dritten Mal schließlich fragte der Gesandte zurück: „Was soll ich lesen?“ Da überbrachte ihm Gabriel die erste OffenbarungEnthüllung:
Lies, im Namen deines Herrn, der erschuf. Er erschuf den Menschen aus einem Blutklumpen. Lies; denn dein Herr ist gütig, der mit dem Schreibrohr lehrt, lehrt den Menschen, was er nicht wusste! (96:1-5)
Nachdem er seine anfängliche Verwirrung und Angst überwunden hatte, akzeptierte Muhammad schnell, dass er von Gott als Prophet auserwählt worden war. Er bekräftigte, dass es keine Gottheit gibt außer Gott, und begann, die Menschen zum Dienst an Gott aufzurufen. Von jenem Tag an kamen, mit einigen Unterbrechungen, 23 Jahre lang Offenbarungen auf ihn herab.
Wie fiel die Reaktion auf die Offenbarungen aus?
Zwar lebten auch Christen und Juden in Mekka und Umgebung, doch die vorherrschende Religion im Mekka des 7. Jahrhunderts war der Götzenglaube. Die monotheistische Botschaft des Propheten wurde als eine Beleidigung dieser von den Vorfahren ererbten ‚Religion‘ aufgefasst. Mekka war ein Knotenpunkt der Handelsrouten und die Kaaba, der heilige Schrein der Stadt, ein stark frequentiertes Pilgerzentrum. Hätten die Oberhäupter der Stadt die Götzenbilder aus der Kaaba entfernt – wie der Prophet es verlangte -, dann hätten sie sich selbst damit großen finanziellen Schaden zugefügt. Nicht zuletzt deshalb widersetzten sich besonders die Reichen und Mächtigen der Botschaft des Propheten, und sie taten alles, damit sie sich nicht verbreiten konnte. Bei den ersten Muslimen begnügten sie sich noch damit, sie verächtlich zu machen. Als die muslimische Gemeinschaft dennoch langsam, aber sicher anwuchs, verschärften sie ihre Angriffe und scheuten auch vor Gewaltanwendung nicht zurück. Da die frühe muslimische Gemeinschaft vor allem aus wehrlosen und ärmeren Menschen bestand, bot sie ein leichtes Ziel. Einige Muslime verbargen ihren neuen Glauben vor der Öffentlichkeit und praktizierten ihn im Geheimen. Als die Nachstellungen unerträglich wurden, emigrierten sie 610 in die Oasenstadt Yathrib, wo niemand ihnen ihre Religion verbot. Diese Stadt ist heute unter dem Namen Medina bekannt.
Zwar folgten die Menschen dem Islam anfangs sehr zögerlich; historische Darstellungen belegen aber, dass der Koran die Menschen schon damals zu beeindrucken wusste – auch diejenigen, die sich vorerst nicht zur neuen Religion bekannten. Sie alle stimmten darin überein, dass die hypnotisierende Schönheit, Eleganz und Ausdruckskraft des Korans selbst die glanzvollsten Gedichte der damaligen Zeit verblassen ließ. Und Beredsamkeit und Redekunst genossen im Arabien des 7. Jahrhunderts auch unter den gewöhnlichen Menschen höchste Anerkennung. Einige bedeutende Poeten glaubten allein deshalb an die Worte des Propheten, weil sie davon überzeugt waren, kein Mensch könne jemals solche Verse hervorbringen.4
In welcher Form kamen die Offenbarungen herab?
Der Erzengel Gabriel überbrachte dem Propheten die Offenbarungen zu unterschiedlichen Gelegenheiten und in unterschiedlicher Form. Wenn neue Offenbarungen kamen, konnten die Menschen im Umfeld des Propheten bestimmte Veränderungen an seiner Person feststellen. Er verlor die Aufmerksamkeit für alles, was um ihn herum geschah, er begann zu schwitzen, und sein Körper wurde schwer. Einmal hatte der Prophet sein Bein auf das eines seiner Gefährten gelegt, als ihm plötzlich eine Offenbarung zuteil wurde. Der Gefährte meinte, sein Bein würde brechen, weil das des Propheten plötzlich zentnerschwer wog. Anschließend trug der Prophet ihm die neu empfangenen Verse vor.5
Wie gelang es, den Koran unverfälscht zu bewahren?
Die einzelnen Offenbarungen wurden von den sogenannten Schreibern der Offenbarung aufgezeichnet und dann der Öffentlichkeit vorgetragen. Anschließend lernten viele Muslime sie auswendig und rezitierten sie täglich in ihren Gebeten. Da die Koranverse nicht chronologisch geordnet werden sollten, gab der Prophet persönlich den Ort der Offenbarung bekannt und legte, auf Geheiß Gottes hin, die Reihenfolge der Anordnung fest. Kurz nach dem Tod des Propheten wurden die Koranverse den Aufzeichnungen zahlreicher Schreiber gemäß zusammengetragen, und das komplette Werk wurde von den anerkanntesten Auswendiglernern jener Zeit geprüft und bestätigt.6 Während der Regierungszeit von Uthman, dem dritten Kalifen7, wurden mehrere Abschriften vom Original angefertigt und in die größeren Städte unter muslimischer Herrschaft geschickt. Mit der Zeit wurden dann weitere Kopien erstellt. Heute gleichen sich alle Kopien des Korans weltweit aufs Wort. Der Text ist seit nunmehr 1.400 Jahren nicht verändert worden.
Was sagt der Koran über die Gläubigen anderer Religionen?
Der Islam verlangt von den Muslimen, auch an die früheren Propheten zu glauben sowie auch an deren Schriften in ihrer ursprünglichen unverfälschten Form. Die Authentizität der sich heute in Umlauf befindlichen Evangelien und des Alten Testaments ist aber umstritten und wird selbst von christlichen und jüdischen Gelehrten in Zweifel gezogen. Muslime glauben, dass die Originaltexte mit jeder Generation, der sie weitergereicht wurden, immer weiter verzerrt wurden. Insofern betrachten sie es auch als selbstverständlich, dass andere religiöse Texte Passagen enthalten, die nicht mit den islamischen Lehren übereinstimmen. Jene Passagen, die von Koran oder Sunna gestützt werden, sind hingegen auch für Muslime maßgeblich.
Der Koran verleiht Juden und Christen einen Sonderstatus und nennt sie die Buchbesitzer, das heißt: Menschen, denen eine Heilige Schrift anvertraut wurde. Die Angehörigen anderer Religionen sind willkommen, sich aus eigenem freiem Willen zum Islam zu bekennen. Eine gewaltsame Bekehrung zum Glauben verbietet der Islam indes streng. (2:256) Wer an seiner Religion festhalten möchte, soll mit Respekt behandelt werden. Lebt er in einem muslimischen Land, genießt er außerdem bestimmte Rechte, die ihm von dem muslimischen Herrscher zu garantieren sind. Dank dieses Schutzes ist es vielen Minderheiten in der Vergangenheit gelungen, sich ihre religiöse Identität zu bewahren. Über Jahrhunderte hinweg stand es ihnen frei, ihre Religionen frei unter muslimischer Herrschaft zu praktizieren. Auch im Alltag sind Muslime dazu aufgerufen, Menschen mit einem anderen Glauben freundlich und respektvoll zu behandeln.8
Was die Errettung im Jenseits anbelangt, so ist die Antwort komplexer. Zunächst einmal besitzen auch die Muslime keine Garantie, vom Feuer der Hölle verschont zu bleiben, wenn sie ihre Religion nicht praktizieren. Der Glaube allein ist in dieser Hinsicht nicht ausreichend, entscheidend ist die Umsetzung des Glaubens. Zweitens steht im Koran eindeutig, dass jeder Mensch – unabhängig von seiner Religion – für seine guten Taten belohnt und für seine schlechten Taten bestraft wird. In diesem Zusammenhang betont der Koran, dass keine Tat vergeblich ist:
Jene, die geglaubt haben, und die Juden und die Sabäer und die Christen – wer an Allah glaubt und gute Werke tut, keine Furcht soll über sie kommen, noch sollen sie traurig sein. (5:69)
Andererseits kritisiert der Koran falsche und ungerechtfertigte Glaubensvorstellungen wie zum Beispiel das Beigesellen von Partnern zu Gott in aller Schärfe:
Sie werden kein Anrecht auf Fürsprache haben – mit Ausnahme dessen, der vom Allerbarmer ein Versprechen empfangen hat. Und sie sagen: „Der Erbarmer hat Sich einen Sohn genommen.“ Wahrhaftig, ihr habt da etwas Ungeheuerliches begangen! Beinahe werden die Himmel zerreißen und die Erde auseinanderbersten, und beinahe werden die Berge in Trümmern zusammenstürzen, weil sie dem Erbarmer einen Sohn zugeschrieben haben. Und es geziemt dem Erbarmer nicht, Sich einen Sohn zu nehmen.(19:88-92)
Diese und ähnliche Verse (5:72-73 oder 9:30) lassen vermuten, dass Menschen mit solchen Vorstellungen zum Höllenfeuer verdammt werden. Da das Thema Erlösung im Jenseits aber unter den Gelehrten kontrovers diskutiert wird, hüten sich Muslime besser davor, vorschnell zu urteilen. Gott allein ist der Höchste Richter. Von Muslimen wird weder erwartet noch werden sie dazu aufgerufen, irgendjemandem zu sagen, ob er in den Himmel oder die Hölle kommt. Beschließen wir diesen Punkt mit einem authentischen Ausspruch des Propheten, der von Abu Hurayra, einem seiner Gefährten, überliefert wurde:
Ich hörte den Gesandten Gottes, Friede sei mit ihm, sagen: Es gab zwei Männer unter den Kindern Israels, die das gleiche Ziel verfolgten. Der eine der beiden sündigte, und der andere versuchte, sein Bestes in der Welt zu geben. Der Mann, der seine Gebete verrichtete, sah den anderen in Sünde leben. Eines Tage traf er ihn an, als er gerade eine Sünde beging. Da sagte er zu ihm: „Hör auf damit!“ Der andere sagte: „Lass mich mit meinem Herrn allein. Bist du mir als Wächter geschickt worden?“ Er entgegnete: „Ich schwöre bei Gott, Gott wird dir weder vergeben, noch wird Er dir Einlass ins Paradies gewähren.“ Dann wurden ihre Seelen (von Gott) hinfort genommen, und sie begegneten einander wieder vor dem Herrn der Welten. Er (Gott) sagte zu dem Mann, der Ihn angebetet hatte: „Besaßest du Wissen über Mich, oder hattest du Macht über das, was Ich in Meinen Händen halte?“ Dann sagte Er zu dem Mann, der gesündigt hatte: „Gehe ins Paradies ein durch meine Barmherzigkeit.“ Über den anderen verfügte Er: „Bringt ihn in die Hölle!“
Von Abu Hurayra stammt auch folgender Ausspruch des Propheten:
Bei Ihm, in Dessen Hand meine Seele ist, Er sprach ein Wort, durch das diese Welt und Seine nächste Welt zerstört wurden.9
Warum wird der Koran als ein Wunder bezeichnet?
Muslime betrachten den Koran als ein Wunder, das niemals von einem Menschen hätte vollbracht werden können. Ein Beleg dafür ist, dass er zahlreiche Prophezeiungen enthält, die sich erfüllt haben. Viele Dinge ereigneten sich unmittelbar nachdem sie im Koran angekündigt wurden, andere erst Jahrhunderte später. Die Eroberung Mekkas (48:27), der Sieg der Byzantiner über die Perser (30:2-6), der Tod aller männlichen Kinder des Pharaos noch vor Erreichen der Pubertät (33:40) und die Ankündigung, dass der Leichnam des Pharaos (der bei der Verfolgung des Propheten Moses im Roten Meer ertrank) viele Jahrhunderte darauf gefunden würde (10:90-92), seien hier als Beispiele genannt. Ein weiterer Beleg sind die wissenschaftlichen Fakten im Koran, die zu Lebzeiten des Propheten Muhammad noch gänzlich unbekannt waren. Auch hier einige Beispiele:
- Das Universum ist aus einem einzigen Teil hervorgegangen (21:30), und es dehnt sich immer weiter aus. (51:47)
- Berge gleichen Masten, das heißt, dass der größere Teil der Berge unter der Erdoberfläche liegt. (78:6-7)
- Die Erde ist eine Kugel. (79:30)
- Himmelskörper folgen Umlaufbahnen. (21:33)
- Die Atmosphäre schützt die Bewohner der Erde. (21:32)
- Pflanzen haben unterschiedliche Geschlechter. (20:53)
- Außerdem bescheinigen arabisch-sprachige Menschen dem Koran, ein ‚linguistisches Wunder‘ zu sein.
Worin besteht die wesentliche Botschaft des Korans?
Der Koran schneidet eine große Vielfalt an Themen an. Der türkische Gelehrte Said Nursi definiert vier wesentliche Themenkomplexe:10
- Die Einheit Gottes und Seine Attribute.
- Der Begriff der Prophetenschaft und die Darstellungen über die Propheten.
- Das ewige Leben; die Beschreibungen von Himmel, Hölle und Jüngstem Tag.
- Regeln für das Zusammenleben und soziale Gerechtigkeit; rituelle Anbetung Gottes, Wohlverhalten und Statuten für das gesellschaftliche und ökonomische Leben.
Entgegen der landläufigen Meinung bezieht sich aber nur weniger als ein Zehntel des Korans auf die letzte Kategorie. Den meisten Raum beanspruchen die Grundlagen des Glaubens, die eingebettet in einen breiteren Kontext zwischen den Attributen Gottes und der Aufgabe der Menschen auf Erden präsentiert werden. Wenn unter den vielen Botschaften des Korans überhaupt eine als die Hauptbotschaft herausgestellt werden kann, dann ist es die, dass die Menschen erschaffen wurden, um den Einen Wahren Gott kennenzulernen und Ihm zu dienen, und dass sie in ihrem Leben in der Welt auf die Probe gestellt werden. Abhängig davon, was sie dort tun, werden sie ihren ewigen Bestimmungsort in Himmel oder Hölle finden.
Baut der Koran auf den Geschichten der Bibel auf?
Der Koran erwähnt viele biblische Propheten namentlich, und die Darstellungen in Koran und Bibel weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Es gibt aber auch Abweichungen. Einige Beispiele:
- Der Koran berichtet, dass die frohe Kunde vom Kommen des Propheten Muhammad schon von den früheren Propheten überbracht wurde.
- Bei der Erzählung der Geschichte des Propheten Josef verwendet der Koran für den König von Ägypten im Gegensatz zur Bibel nicht den Begriff Pharao. Die Gelehrten versichern, dass der Begriff Pharao erst nach dem Tod Josefs benutzt wurde. Dass der Leichnam des Pharaos als ein Zeichen für spätere Jahrhunderte erhalten blieb, steht im Koran, nicht aber in der Bibel.
- Bei Erzählungen aus dem Leben früherer Propheten bedient sich der Koran stets einer sehr respektvollen Sprache. Keinem von ihnen unterstellt er, bewusst eine Sünde begangen zu haben. Darin unterscheidet er sich stark von der Bibel, was die Geschichten der Propheten David und Lot belegen.
- Der Koran weist das Konzept der Dreifaltigkeit entschieden zurück und unterstreicht, dass Jesus selbst nie behauptet hat, der Sohn Gottes zu sein.
Abgesehen davon ist die Religion keine Sammlung von Lebensgeschichten der Propheten. Vielmehr zeigt sie Wege auf, ein Leben zu führen, das Gottes Wohlgefallen findet. Und deshalb erläutert der Koran die Grundlagen des Glaubens (die sich im Großen und Ganzen mit denen von Christentum und Judentum decken) in der gebotenen Ausführlichkeit; er bekräftigt gesellschaftliche Regeln der früheren Religionen, fügt ihnen einige hinzu und streicht andere; außerdem führt er neue Rituale zur Gottesanbetung ein. Nichtsdestotrotz hat der Koran einen ganz anderen Stil als die Bibel. Er bezieht sich weniger auf historische Ereignisse und betont die Attribute Gottes und das Jenseits stärker. Die Behauptung, der Koran sei lediglich eine Erweiterung der Bibel, ist völlig unzutreffend.
Billigt der Koran Gewaltanwendung?
Das Thema Krieg und Frieden wird im Koran so eingehend behandelt, dass hier in diesem kurzen Aufsatz nicht sämtliche Aspekte geklärt werden können. Festhalten lässt sich jedoch, dass Gewalt im Koran an keiner Stelle gutgeheißen wird. Der Frieden ist im Leben eines Muslims die Norm. Es wird aber akzeptiert, dass es Gründe geben kann, die einen Krieg unabdingbar machen. Krieg zu führen ist allerdings nur dann legitim, wenn er das Ziel verfolgt, den Friedenszustand wiederherzustellen. Und ein Krieg darf auch nur zwischen Staaten geführt werden. Legitime Gründe für eine Kriegserklärung sind:
- Selbstverteidigung,
- der Schutz wehrloser Menschen vor Unterdrückung,
- Verletzungen von Friedensverträgen zwischen muslimischen und anderen Staaten.
Kriegserklärungen dürfen ausgesprochen werden gegen Verbündete von Staaten, die muslimische Staaten angreifen, und gegen Staaten, die Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft ohne gerechtfertigten Grund angreifen. Die Tatsache, dass Einzelpersonen oder Staaten eine andere Religion haben, stellt natürlich keinen Kriegsgrund dar.11 Auch kann weder eine Einzelperson noch irgendeine Gruppe einen Krieg erklären. Genauso wie es untersagt ist, Selbstjustiz zu üben, weil dafür einzig und allein die vom Staat beauftragten Beamten oder Repräsentanten zuständig sind, liegt auch die Erklärung eines Krieges allein in der Zuständigkeit des Staates.
Wenn Muslime Krieg führen, werden ihnen von der Religion strenge Bedingungen auferlegt, zum Beispiel:
- Sie dürfen sich nicht an Unschuldigen wie Frauen, Kindern, Älteren und Geistlichen vergehen. Auch alle nicht an Kampfhandlungen Beteiligten sind tabu.
- Folter und Vergewaltigung sind untersagt.
- Unstatthaft sind auch (wenn nicht unbedingt notwendig) die Beschädigung von Infrastruktur und Wasserversorgung sowie die Vernichtung von Bäumen, Ackerland und Tieren.
- Wenn der Feind sich zum Friedensschluss bereit zeigt, dürfen Muslime nicht ihrerseits darauf bestehen, den Krieg weiterzuführen.
Der Koran sagt auch, dass das Töten eines unschuldigen Menschen eine genauso große Sünde ist wie das Töten der ganzen Menschheit. (5:32) Gewalt, die von Terrorgruppen verübt wird, kann ebenso wenig als der islamischen Lehre entsprechend betrachtet werden wie jede andere Form der Kriegführung, die gegen diese Regeln verstößt.
Lässt sich der Koran angemessen übersetzen?
In praktisch jeder Sprache sind zahlreiche Koranübersetzungen in Umlauf. Die Gelehrten sind jedoch einmütig der Ansicht, dass keine dieser Übersetzungen dem Koran gerecht werden kann. Die Leser sollten daher nicht dem Fehler verfallen anzunehmen, dass sich die vom Koran kommunizierte Botschaft auf das beschränkt, was in den Übersetzungen nachzulesen ist. Jede dieser Versionen hat ihre eigenen Unzulänglichkeiten und Schwächen. Keine Sprache lässt sich eins zu eins in eine andere übersetzen, und Begriffe, die in der einen existieren, sind vielleicht in einer anderen unbekannt. Der Stil und die Ausdruckskraft gehen bei Übersetzungen häufig verloren, und der Übersetzer steht immer wieder neu vor der zwangsläufig subjektiven Wahl, sich für eine von vielen Bedeutungen eines Wortes entscheiden zu müssen. Dies alles gilt aus folgenden Gründen in besonderem Maße für den Koran:
Seine Worte tragen sehr vielschichtige Bedeutungen.
- Einige seiner Worte sind mit sehr spezifischen religiösen Konzepten verknüpft, die zunächst im Detail erläutert werden sollten, bevor ihre Bedeutung wiedergegeben werden kann.
- Viele Verse beziehen sich auf andere Verse oder auf bestimmte historische Ereignisse. Deshalb ist es in der Regel erforderlich, dass Erklärungen auch den Kontext einbeziehen.
- Manche Verse werden von anderen wieder aufgehoben, sodass der Leser die chronologische Reihenfolge der Offenbarung kennen muss, bevor er sie interpretieren kann.
Wer eine Übersetzung liest, sollte sich also stets der Tatsache bewusst sein, dass sie ihm ein gewisses Grundverständnis liefert, aber auch viele Fragen offen lässt. Diese können nur dadurch beantwortet werden, dass man sich an einen hinreichend qualifizierten Lehrer wendet oder Bücher und Artikel studiert, die sich mit der Erläuterung bestimmter Konzepte und Begriffe befassen. Entsprechende Erläuterungen erfordern, dass der Koran in seiner Gesamtheit gesehen wird, dass die Interpretationen führender muslimischer Gelehrter berücksichtigt werden und dass die Praxis und die Ausführungen des Propheten Muhammad in die Beurteilung mit einfließen.
Warum rezitieren Muslime den Koran in arabischer Sprache?
Übersetzungen und Kommentare zum Koran existieren in allen Sprachen, und die Muslime sind auch angehalten, diese zu Rate zu ziehen. Daneben sollten sie sich aber auch darum bemühen, den Koran im arabischen Original zu lesen, weil nur dieses als das authentische Wort Gottes betrachtet wird. Der Koran wird im täglichen Pflichtgebet und als eine Form der Anbetung Gottes auf Arabisch rezitiert. Für das Pflichtgebet ist nur sehr wenig Text auswendig zu lernen. Auch ein ungebildeter Mensch kann sich diesen in einem Tag aneignen. Die meisten Muslime prägen sich aber längere Abschnitte des Korans ein, und nicht wenige kennen sogar den gesamten Text auswendig. Den Koran mit einer schönen getragenen Stimme zu rezitieren, ist eine hochgeschätzte islamische Kunst. Der Prophet Muhammad sagte: Schmückt den Koran mit euren Stimmen, denn eine schöne Stimme vermehrt die Schönheit des Korans noch.12 Viele Muslime versuchen auch, zumindest ein bisschen Arabisch zu lernen, um einzelne Passagen des Korans verstehen zu können. Andererseits muss man aber kein Arabisch können, um ein guter Muslim zu sein. Entscheidend ist vielmehr, im Bewusstsein der Existenz Gottes zu leben und die Religion im täglichen Leben zu praktizieren.
Fazit
Über eine Milliarde Muslime in aller Welt betrachten den Koran als das Wort Gottes. Interessierte Leser aus der westlichen Welt sollten sich zunächst einmal näher mit ihm befassen, bevor sie über ihn urteilen. Mit dem Lesen einer Übersetzung erwirbt man sich ein gewisses Grundverständnis; weiterführende Literatur ist aber unentbehrlich. Dieser Beitrag sollte lediglich als Einführung in den Koran dienen und einige Fragen beantworten, die immer wieder gestellt werden. Weitere Informationen bieten die Literaturliste unten und natürlich auch Internet und Printmedien.
Joseph Ton
1 Die Seiteneinteilung unterscheidet sich von Ausgabe zu Ausgabe, der Text hingegen ist in allen Ausgaben derselbe. Die 604 Seiten-Version besteht allein aus arabischem Text. Sie ist die Kopie einer besonderen Handschrift, deren Seitenlänge sich nach dem längsten Vers und deren Zeilenlänge sich nach der kürzesten Sure bemisst. Übersetzungen mit lateinischen Schriftzeichen und Erläuterungen kommen meistens auf über 1.000 Seiten.
2 Teece, Geoff (2005)
3 FG (2005)
4 Nursi (1997), 25th Word
5 Bukhari, Bd. 4, Buch 52, Hadith 85
6 Canan (2005)
7 Kalif ist ein historischer Ehrentitel, der erstmals den Führern der muslimischen Gemeinschaft verliehen wurde. Er wird heute aber nicht mehr benutzt.
8 Kurucan (2007)
9 Abu Dawud,Adab, Buch 41, Nr. 4883. Die Zusammenstellung der Sunna wurde im Jahr 241 nach der Hidschra abgeschlossen.
10 Nursi (1997)
11 Kurucan (2006)
12 Al-Haqim, Al-Mustadrak, 1/236
10-11-13