„Kunst ist eine existenzielle Säule der Demokratie! Die Kultur eines Landes hat stark mit der eigenen Identität eines Volkes zu tun. Diese kulturellen Wurzeln zu negieren, indem ich sie nicht fördere, das finde ich ganz schlimm für ein Land“, sagt der deutsche Opernsänger Thomas Quasthoff.
Er kritisiert dabei heftig, wenn Musikausbildung und -förderung von Politikern mangels ausreichendem Kenntnis- und Erfahrungshorizonts ignoriert wird, sich schulische Institutionen und sogar einschlägige Ausbildungseinrichtungen ebenso unverantwortlich wie daran desinteressiert zeigen und auch im Elternhaus die geistige Auseinandersetzung mit den Kindern sträflich vernachlässigt wird. Thomas Quasthoffs kritischen Worten zufolge fördert die Musik insgesamt ein empathisches Sozialverhalten, den Zugang zur eigenen Emotionalität, und prägt in nachhaltiger Weise kulturelle Wurzeln sowie die eigene Identität: „Das Leben mit und in der Kunst schließt das Wissen der eigenen, aber auch der fremden Kulturen ein. Dieses Wissen nimmt die Angst vor dem Fremden. Gleichzeitig schafft das Erkennen des Wertes einer Kultur eine gewisse Stärke.“
Weiterhin weist Thomas Quasthoff anschaulich auf das realistische Beispiel des heutigen Musikkonsums junger Menschen hin: „Wenn das kindliche Bedürfnis nach Geschichten nicht ausreichend gestillt wird, verkümmert die entsprechende Aufnahmebereitschaft. Und warum sollten diese jungen Menschen später ein ausgeprägtes Interesse für eine (Musik)Theateraufführung mitbringen?“ Da ist das Interesse an Popsongs schon ausgeprägter. Die Chart-Hits kann heute jedes Kind mitsingen, ein Schubert-Lied dagegen kennt kaum eines. „Weil es in der Schule nicht mehr vermittelt wird! Das muss stärker gefördert werden.“ Demnach äußert sich diese Form des emotionalen Bildungsverlustes als oft unüberwindliche Hemmschwelle bei Jugendlichen auch so stark: „Jüngere tun sich schwerer damit, eine Verbindung zu ihren eigenen Gefühlen herzustellen. Denn Emotionen können nach außen möglicherweise auch erst einmal peinlich wirken.“
„Man kann Menschen an diese Emotionalität heranführen, indem man ihnen ihre Gefühle bewusst macht, die im täglichen Leben stattfinden, sie auch zwingt, sich in solche Rollen zu begeben. Und dann zu fragen, wie fühlt sich jemand, der verzweifelt ist, jemand, der ironisch und sarkastisch ist. Wut, Freude, Aggressivität, Trauer – solche Gefühle sind ja in uns allen. Dafür kann man Menschen sensibilisieren, so dass diese Gefühle später in einer Rolle abrufbar sind.“ Die Menschwerdung durch Musik steht für ihn außer Frage, die Musikförderung sieht er daher als Politikum und als gesellschaftliche Notwendigkeit. „Dass immer mehr öffentliche sowie private Musikschulen geschlossen werden, ist einfach skandalös. Um jedes Kind, das einen Platz in der Musikschule hat, braucht sich die Polizei später nicht zu kümmern. Dass Politiker diesen Weitblick nicht haben und ausgerechnet da sparen, wo es am wenigsten angebracht ist, finde ich wirklich schlimm.“
Diese treffend auf den Punkt gebrachten Feststellungen von Thomas Quasthoff wurden bereits im Jahr 1998 in ähnlicher Weise – jedoch ohne größere öffentliche Resonanz – vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily geäußert. Er nahm damit Bezug auf die gleichlautenden Ergebnisse der Langzeitstudie des renommierten Musikpädagogen Hans-Günter Bastian zur Situation des Musikkonsums und der musikalischen Ausbildung junger Menschen in Deutschland. Damals zeigte sich Otto Schily mit staatstragenden sowie markigen Worten überzeugt: „Wer Musikschulen schließt, schadet der inneren Sicherheit unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland!“ Die demgegenüber landläufig bekannte und häufig anzutreffende Auffassung, Musik sei ein überwiegend unpolitisches Feld wird sowohl von Thomas Quasthoff, als auch von Otto Schily respektive Hans-Günter Bastian ad absurdum geführt, bringen sie doch klar die bildungspolitische Funktion von Musik auf den Punkt.
In einer freien Gesellschaft, wie es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist, steht die Förderung von unterschiedlichen Musikformen im Vordergrund. Dabei zeigt sich häufig, dass der Austausch und die Begegnung mit verschiedensten Formen sprachlicher und musikalischer sowie religiöser Kultur durchaus zahlreiche Gemeinsamkeiten erkennen lässt. Häufig werden dabei allerdings stereotype Bilder und überwiegend trennende Gegensätze wahrgenommen. So treten demzufolge Parallelwelten in demokratischen Gesellschaften hervor, die jedoch nicht miteinander in Beziehung, geschweige denn in Kommunikation, treten. Demgegenüber gibt es allerdings nicht wenige engagierte Menschen, die eben jene Gegensätze zu überbrücken versuchen oder gar manche bislang unverrückbar angesehene Grenzen bewusst überschreiten, um letztlich Demokratie in hörbarer Weise aktiv mitzugestalten. Dadurch wird ein interkultureller Austausch ermöglicht, der allen Menschen in einer demokratisch geprägten Gesellschaft Zugang und Teilhabe verschafft. Somit ergeben sich innovative Entwicklungsoptionen nicht nur im Hinblick auf künstlerische Projekte. Musiker unterschiedlicher sprachlicher und religiöser sowie kultureller Herkunft sind demnach in der Lage, gemeinsam mit ihrem Medium – der Musik – eine universal gültige und somit eine für jeden Menschen verständliche Sprache zu schaffen. Dies geschieht vor allem in Form musikalischen Austausches und der Fähigkeit zu musikalischer Begegnung. Dabei berücksichtigen sie vor allem ihre jeweiligen kulturellen Traditionen. Der bewusst provokant gewählte Titel dieser Veranstaltung – „Ich spiele, was ich will“ – beweist, dass gerade Musik ein nahezu optimales Transportmittel für die Ausprägung und Manifestation demokratischen Gesellschaftslebens darstellt, das es an diesem Abend zu entdecken und zu erleben gilt.
Das IDEBI-Institut will damit einen kleinen Beitrag zum friedlichen, respektvollen Zusammenleben hier in der Gesellschaft leisten. Und das können wir, glaube ich, ganz besonders oder sogar nur durch Musik, Kunst und Literatur schaffen. Thomas Quasthoff hat also ohne jeden Zweifel Recht: „Kunst ist eine existenzielle Säule der Demokratie!“, die wir unbedingt fördern müssen. Jenseits der tagtäglichen Debatten über Integration und Leitkultur oder der Überbewertung der nationalen und religiösen Überzeugungen brauchen wir eine Basis der Akklimatisierung und Sensibilisierung sowie Wertschätzung der Menschen untereinander sowie miteinander. Und so können wir zugleich eine universelle Sprache entwickeln, womit wir alle uns als Menschen – trotz unserer individuellen Verschiedenheit – verständigen, ja sogar verstehen können.
Der große Dichter und Philosoph Mevlana Rumi, der vor sieben Jahrhunderten gelebt hat, sagt:
Auf der Welt gibt es viele Sprachen, viele Sprachen,
Aber alles hat die gleiche Bedeutung.
Brichst du die Karaffe, den Krug,
Wie fließt dann das Wasser und findet seinen Weg…
Nun hin zur Einheit, lass den Streit, den Krieg!
Wie schlägt dann das Herz, und wie führt es zu anderen Herzen.
Ich bedanke mich bei meinen lieben Freunden Hümmet Albayrak und Heiko Fabig sowie der lieben Sängerin Candan Albayrak, die sich mit einem großen aufrichtigen Engagement auf diesen Abend vorbereitet haben. Mein besonderer Dank gilt auch der Städtischen Musikschule der Stadt Hamm, die diesen Saal zur Verfügung gestellt hat, für die freundliche und großzügige Unterstützung.
Die Eröffnungsrede von Muhammet Mertek
PS: Die musikalische Veranstaltung „Ich spiele was ich will!“ – Eine kulturelle Begegnung mit Musik“ wurde vom IDEBI e.V. am 26. September 2017 in der Städtischen Musikschule in Hamm im Rahmen der Interkulturellen Woche 2017 organisiert.