Anita Lasker-Wallfisch gehört zu den wenigen Menschen, die in Konzentrationslagern wie Auschwitz und Bergen-Belsen, wo Hundertausende von Menschen in Gaskammern oder durch andere grausamen Methoden ermordet wurden, gerettet werden konnten. Jetzt ist sie 92 Jahre alt…
Sie hielt eine rührende Rede beim Gedenktag des jüdischen Völkermords im Deutschen Bundestag und verdeutlichte die Dimension ihrer Schreckenserlebnisse: „Damals habe ich geschworen, nie wieder meine Füße auf deutschen Boden zu setzen. Mein Hass auf alles, was deutsch war, war grenzenlos. Wie Sie sehen, bin ich wortbrüchig geworden, schon vor vielen, vielen Jahren – und ich bereue es nicht. Hass ist ganz einfach ein Gift und letzten Endes, vergiftet man sich selbst.“
Lasker-Wallfisch war im Block 12 untergebracht, ganz nah an der Rampe und am Krematorium. Und alles was sie erleben musste, füllte ihre Seele mit unendlichen Hassgefühlen: „Wir konnten alles sehen. Die Ankunftszeremonie, die Selektionen, die Kolonnen von Menschen, die in Richtung Gaskammer gingen und in Rauch verwandelt wurden.“
Und sie stellte sich vor, wie auch ihre Eltern in Gaskammern getrieben wurden.
Als sie mit ihrer Schwester nach Frankreich fliehen wollte, wurden sie gefasst. Da sie gut Cello spielen konnte, blieb sie vom Krematorium verschont. Als Cellistin im Mädchenorchester des Lagers hatte sie diese Chance, wie sie sagt: „Wenn man irgendwie gebraucht wird, hat man eine winzige Chance. Ich hatte diese Chance. Ich wurde gebraucht.“
Trotz allem musste sie die unerträgliche Leiden und Tyrannei überstehen. Das Schlimmste überhaupt war, dass sich all diese Grausamkeiten vor ihren Augen ereigneten.
Ich konnte mir die große Tragödie vorstellen, die sich in den bewegenden Zeugnissen spiegelte, als ich vor einiger Zeit das KZ in Mauthausen (1938-45) in Österreich besuchte. Den Spuren der unfassbaren Leiden versuchte ich zu folgen. Es roch noch immer nach Menschenleichen.
Später ist dort ein Museum entstanden. In der Mitte gibt es einen großen Hof, der damals von etwa 30 Baracken umgeben war. Wenn man durch ein großes Tor hereinkommt, sieht man die Plätze, wo Menschen versammelt und nach ihren Krankheiten und Berufen sortiert und dann isoliert untergebracht wurden. Und dann die Entkleidungsräume, Gaskammern und Krematorium…
Wie kann man vor dieser unmenschlichen Tat nicht zittern… Etwa hundert tausend Menschen wurden nur hier grausam ermordet. Stets beschäftigte ich mich mit einer Frage: Wie können Menschen so bestialisch sein? Was für eine brutale Mentalität und Ideologie war es, Tausende von unschuldigen Menschen zu deportieren und auf grausamste Art, durch Folter und Vergasen zu ermorden? Wie kann ein Wesen wie der Mensch eine so unvorstellbar bestialische und inhumane Tat begehen? Fragen… Fragen… die sich mir immer wieder stellen.
Facettenhaft setzte sich ein Bild zusammen und mir wurde die Antwort immer klarer. Meines Erachtens dreht sich alles nur um ein Wort: Hass! Nur durch das unheilsame Hassgefühl kann man die Welt in eine Hölle verwandeln.
Als ich Anita Lasker-Wallfisch hörte, habe ich mich an meinen Besuch im KZ Mauthausen erinnert. Frau Lasker-Wallfisch klagte laut vor den Menschen mit gesundem Gewissen im deutschen Parlament und erteilte eine Lektion. Damit auf der Welt keine Tyrannei und Völkermord mehr begangen werden möge…
Wenn man mit Hassgefühlen die Gesellschaft spaltet, eine Gruppe dämonisiert und jede Tyrannei als angemessen erachtet, kann man auch beim Gegenüber große Hasswellen erzeugen.
Nun hatte Anita Lasker-Wallfisch 50 Jahre lang kein Deutsch gesprochen und sogar verboten, dass dort, wo sie war, deutsch gesprochen wird, sowie alles gehasst, was deutsch war.
So wird klar, dass Tyrannei immer Hass nach sich zieht. Aber Hass löst wiederum kein Problem. Sie sagte ja: Hass ist ganz einfach ein Gift, und letzten Endes vergiftet man sich selbst.“
Bestimmt hat sie es bedauert, dass sie erst 50 Jahre später erkannt hat, dass der Hass einen nur selbst zerstört. Daher appelliert sie: „Redet miteinander, baut Brücken und hasst nicht!“
Die Lösung gegen die Dämonisierung einer Gruppe und die Spaltung der Gesellschaft durch Hassgefühle macht sie von einer Hoffnung abhängig:
„Alles, was bleibt, ist Hoffnung. Die Hoffnung, dass womöglich letzten Endes der Verstand siegt.“
Muhammet Mertek