Wer auch immer mir für das bürgt, was zwischen seinen Lippen und seinen Beinen ist, dem werde ich das Paradies garantieren.
(Bukhari, As-Sahih, Riqaq, 23)
Wie jedermann weiß, ist die Sprache einer der bedeutendsten Gunstbeweise Gottes. Der Mensch soll deshalb seine Zunge zu guten und nützlichen Dingen gebrauchen. Er soll den Koran rezitieren, beten, stets die Wahrheit sagen, eindringlich zum Guten mahnen und dem Bösen Einhalt gebieten. Er soll bescheiden und bei der Wahl seiner Worte anständig sein. Außerdem soll er seine Zunge im Zaum halten und nicht schlimme Dinge wie Lügen, Kraftausdrücke, Verleumdungen, üble Nachrede usw. von sich geben. Der Mensch soll seine Zunge hüten; Ali, der vierte Khalif, sagte einmal: „Dein Wort ist von dir abhängig, bis du es aussprichst; wenn du es aber einmal ausgesprochen hast, dann bist du von ihm abhängig.“
Für das Erlangen menschlicher Vollkommenheit und um sich das Paradies zu verdienen, spielt die Kontrolle der Sinneslust eine genauso wichtige Rolle wie die Kontrolle der Zunge. Gott, der Allmächtige, hat den Menschen mit vielen Fähigkeiten und Impulsen ausgestattet, auf dass er sich durch ihre Beherrschung und ihr Kanalisieren in gute Taten und Tugendhaftigkeit spirituell entwickeln und dadurch zum ‚Höchsten des Hohen‘ aufsteigen kann. Indem der Mensch gegen die Fleischeslust ankämpft und sich darum bemüht, sie auf legalen Wegen zu befriedigen, kann er den Rang der Frömmigkeit erklimmen und Überlegenheit über die Engel erlangen – denn da Engel keine Fleischeslust empfinden und deshalb auch nicht gegen Versuchungen anzukämpfen brauchen, entwickeln sie sich nicht spirituell weiter. Auf Grund seiner essenziellen Dualität bewegt sich der Mensch jedoch zwischen dem ‚Niedrigsten des Niedrigen‘ – einer Stufe, auf der er noch erbärmlicher als der Teufel werden kann – und dem ‚Höchsten des Hohen‘, einer Stufe, auf der er sogar die Engel übertreffen kann.
Da der Islam die Wege, die zu verbotenen Handlungen führen, verbietet oder versperrt, sollte man von Handlungen wie zum Beispiel dem zur Schau Stellen seiner Reize, dem Anstarren des anderen Geschlechts und dem Alleinsein mit einem Menschen des anderen Geschlechts an einem privaten Ort Abstand nehmen, sofern die Gefahr besteht, dass dadurch verbotene Beziehungen gefördert werden. So wie die Erlangung der Kontrolle über die Zunge erfordert auch die Kontrolle der Sinne eine starke Willenskraft, Selbstdisziplin und fortwährenden Kampf gegen das sinnliche Selbst. Sie mag auf den ersten Blick sehr schwierig zu verwirklichen sein, doch auf lange Sicht bereitet sie uns große spirituelle Freude; denn die Freude an Einsatz und Bemühen liegt im Einsatz und im Bemühen selbst. Wenn wir versuchen, Kontrolle über unsere Zunge und unsere Sinne zu erlangen, verdienen wir uns damit das Paradies.
Der Muslim ist ein Mensch, vor dessen Zunge und Hand Muslime nichts zu befürchten haben.
(Bukhari,Iman, 4)
Dieser Hadith bringt, wie so viele andere Hadithe auch, in einigen wenigen Worten viele Wahrheiten zum Ausdruck. Erstens beschreibt er das Ideal oder die Norm eines Muslims, indem er mit den Worten ‚derMuslim’ und nicht ‚einMuslim’ beginnt. Auf diese Weise lenkt der Prophet Muhammad die Aufmerksamkeit auf die Qualitäten vollkommener Muslime – nicht auf die Qualitäten jener, die zwar dem Namen nach, nicht aber den Handlungen nach echte Muslime sind.
Das arabische WortMuslim wird vom Infinitivsilm, was Sicherheit, Frieden und Heil bedeutet, abgeleitet und bezeichnet jemanden, der Sicherheit, Frieden und Heil erstrebt und schenkt. Wenn wir also einen Muslim mit dem normativen bestimmten Artikel als ‚der Muslim’ kennzeichnen, dann meinen wir damit einen Gläubigen, der die Verkörperung des Friedens geworden ist und weder Unruhe stiftet noch Sorgen heraufbeschwört – jemanden, vor dem nicht nur jeder Muslim, sondern jeder Mensch in absoluter Sicherheit ist. Der Muslim ist der verlässlichste Repräsentant von Frieden und Sicherheit in der Welt. Er bemüht sich darum, Frieden, Sicherheit und Heil in die Welt zu bringen, und widmet sich der Verbreitung seines inneren Friedens und Glücks in seiner Umwelt.
Der Prophet Muhammad erwähnt die Zunge hier vor der Hand. Es ist allgemein bekannt, dass die von der Zunge zugefügten ‚Wunden‘ tiefer und verletzender sind als die von der Hand beigebrachten. Außerdem kämpft der Mensch zumeist bereitwilliger, müheloser und häufiger mit der Zunge als mit der Hand. Verleumden, lästern, Vorwürfe machen und weitere ähnliche Dinge, die Menschen verletzen, sind verbreiteter und schwieriger zu verhindern, als die Verwundung von Menschen per Hand. Wenn sich jemand zurückhalten kann, mit der Zunge Verletzungen zuzufügen, dann kann er Handgreiflichkeiten noch viel leichter unterlassen. Auch ist die Verteidigung gegen physische Angriffe in den meisten Fällen leichter als gegen verbale Attacken, vor allem bei übler Nachrede und Verleumdung. Ein wahrer Muslim bemüht sich also stets, sowohl seine Zunge als auch seine Hand davor zu bewahren, andere zu verletzen.
Lebt in dieser Welt als ob ihr Fremde oder Reisende wäret!
Betrachtet euch als einen der Toten!
(Tirmidhi)
Dieser prägnante Hadith ruft uns dazu auf, ein bescheidenes und diszipliniertes Leben zu führen und Gott stets im Bewusstsein zu halten. Er erinnert uns an unsere endgültige Bestimmung, indem er die Vergänglichkeit dieser Welt betont, und schafft ein Gleichgewicht zwischen diesem und dem kommenden Leben.
Wir Menschen sind Reisende in dieser Welt. Mewlana Dschelaleddin Rumi, ein türkischer Sufi des 13. Jahrhunderts, vergleicht das menschliche Individuum mit einer Rohrflöte, die vom Schilfrohr, aus dem sie stammt, getrennt ist. Wir stöhnen unablässig vor Schmerz, weil uns unsere Trennung von dem Wahren Eigentümer und von unserer ‚Heimat‘ so quält. Wir machen uns von der Welt des Geistes aus auf einen Weg, der uns über die Stationen des Mutterleibs, der Kindheit, der Jugend, des fortgeschrittenen Alters, des Grabes zur Auferstehung führt; und unsere Reise endet schließlich entweder im Paradies oder in der Hölle. Wenn wir eine angenehme Reise haben und sicher im Paradies ankommen möchten, sollten wir uns der Vergänglichkeit des weltlichen Lebens bewusst sein und uns auf das ewige Leben vorbereiten. Obwohl es uns erlaubt ist, die Annehmlichkeiten des Lebens in Maßen zu genießen (sofern sie nicht ausdrücklich verboten sind), sollten wir ihnen nicht übermäßig frönen oder unsere wahre Bestimmung vergessen.
Wer auf alles verzichtet, was für ihn nicht von Nutzen ist, tut dies, weil er ein guter Muslim ist.
(Tirmidhi; Ibn Madscha)
Ein guter Muslim zu sein heißt, Ihsan zu praktizieren, undIhsanbedeutet,Gott anzubeten, als ob man Ihn sähe, und gleichzeitig zu wissen, dass Er uns jederzeit sieht, auch wenn wir Ihn nicht sehen können. (Bukhari; Muslim)
Wenn jemand diese Stufe erreicht hat, darf er sagen „Ich habe in der äußeren Welt nach Ihm gesucht; nun aber habe ich verstanden, dass Er die Seele in meiner Seele ist“, oder: „Stets habe ich auf Botschaften aus der jenseitigen Welt gewartet; nun aber wurde der Schleier meiner Seele gelüftet, und ich habe mich selbst gesehen.“
Um diesen Grad an Vortrefflichkeit zu erreichen, sollte der Diener Gottes auf alles verzichten, was für ihn wertlos und nicht von Nutzen ist. Er sollte wissen, dass Gott ihn jederzeit sieht und dass auch der Gesandte Gottes und klardenkende Gläubige den wahren Wert seiner Handlungen kennen. Gott sagt:
Sprich: „Handelt, und Gott wird euer Handeln sehen, geradeso wie Sein Gesandter und die wahren Gläubigen; und ihr werdet zu dem zurückgebracht werden, der das Unsichtbare und das Offenkundige kennt, und Er wird euch all das begreifen lassen, was ihr zu tun pflegtet (und euch dafür zur Rechenschaft ziehen). (9:105)
Wer Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit nicht ablegt, kann kein guter Muslim sein. Vielmehr ist jeder Mensch dazu aufgerufen, sein Handeln sorgfältig zu überprüfen und bei allem, was er tut, sein Bestes zu geben. Bei all seinen Geschäften und Transaktionen soll er seriös und zuverlässig sein. Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit machen den Menschen unzuverlässig und nehmen ihm seine Würde.