Die Schule der Mu’tazila ist eine rationalistisch-spekulative Schule des Kalam (der islamischen Theologie) des 8. Jahrhunderts, die die Willensfreiheit des Menschen in den Vordergrund stellt und sich mit der Aussage „Der Diener ist der Schöpfer seiner Tat“ von den anderen Rechtsschulen trennte. Diese Schule wies dem Verstand (Aql) gegenüber dem offenbarten Text (Naql) eine relativ bedeutende Rolle zu. Die Schule der Mu’tazila wurde von Wasil ibn Ata, einem Schüler von Hasan al-Basri gegründet. Später nahm der Gründer von seinen eigenen Ideen Abstand. Die Philosophie der Mu’tazila wird auch als Qadariyya bezeichnet, denn ihre Anhänger glauben nicht an die Vorherbestimmung, sondern an die absolute Willensfreiheit des Menschen. Hervorzuheben ist, dass die Anhänger dieser theologischen Schule, die Mu’taziliten, die Attribute Gottes leugnen. Sie billigen ihnen, im Gegensatz zu den anderen theologischen Schulen, keine unabhängige oder substanzielle Existenz zu und halten sie stattdessen für Bestandteile des Wesens Gottes. Die Mu’tazila ist in 20 Untergruppen zersplittert.
Hintergrund dieses Leugnens der Attribute Gottes ist, dass die Mu’taziliten die Einheit Gottes schützen wollten, indem sie Gott für unergründlich und unfassbar erklärten. Sie betrachteten die Benennung von Attributen Gottes als eine Form der Beigesellung zu Gott und damit als einen versteckten Polytheismus. Eine ähnliche Begründung führten sie bei der Diskussion ins Feld, ob der Koran (das Wort Gottes) schon immer existiert hat oder irgendwann erschaffen wurde. Auch in diesem Punkt argumentierten die Mu’taziliten von dem Standpunkt aus, neben dem Wesen Gottes könne nichts anderes ewig sein – auch nicht der Koran, den Gott lediglich unter bestimmten Umständen für die Menschheit erschaffen habe. Auch hier unterstellten sie anders lautenden Behauptungen einen latenten Polytheismus. Damit distanzierte sich die Schule der Mu’tazila vom Standpunkt der Mehrheit der Muslime.
Quelle: Mertek, Muhammet (2012), Der Islam: Glaube, Leben, Geschichte, INID/Hamm.