Die Städte Mekka und Jerusalem und insbesondere die Höhle Hira und die Al-Aqsa-Moschee sind durch ein spirituelles Band miteinander verbunden. In Mekka, genauer gesagt in der Höhle Hira, gab sich der Prophet Muhammad erstmals ganz der Anbetung Gottes hin. Hier empfing er die erste Offenbarung. Und in Mekka stehen auch die beiden erhabenen Moschen, denen jeder Muslim mindestens einmal im Leben einen Besuch abstatten soll, wenn er es sich denn leisten kann. Der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem wiederum machte der Prophet seine Aufwartung, als er hier mit Abraham, Moses, Jesus und weiteren Propheten zusammentraf, die sich versammelt hatten, um unter seiner Leitung zu Gott zu beten. Anschließend brach er von hier aus zu seiner Himmelsreise auf. Darüber hinaus war die Al-Aqsa-Moschee die erste Qibla. Ihr wandten sich die Muslime im Gebet zu, bis Gott Mekka zur zweiten und endgültigen Qibla ernannte. Daher lieben und verehren die Muslime beide Städte als heilige Orte.
Die Eroberung Jerusalems durch die Osmanen
Vor der Ära der Osmanen, die von 1517 bis zum Niedergang des Osmanischen Reichs Anfang des 19. Jahrhunderts währte, hatte Jerusalem unter der Kontrolle der ägyptischen Mamluken gestanden. 1517 jedoch setzte Sultan Selim I. der Herrschaft der Mamluken in Ägypten ein Ende und brachte damit auch Jerusalem unter seine Oberherrschaft.
Unmittelbar nachdem der Sultan seine Macht in Syrien und Ägypten sowie seine Autorität über die beiden erhabenen Moscheen (die Heilige Moschee in Mekka und die Prophetenmoschee in Medina) und die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem gefestigt hatte, ordnete er an, dass nunmehr keine neuen Kirchen oder andere Gotteshäuser in den Großstädten, Städten und angrenzenden Dörfern dieser Gebiete mehr gebaut werden dürften. Die bestehenden Gotteshäuser hingegen sollten instand gehalten und ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß genutzt werden.
Die alten Bauwerke durften nur dann niedergerissen werden, wenn sie später am gleichen Ort und im gleichen Stil wieder aufgebaut wurden. Mit dieser Verfügung trat Sultan Selim I. in die Fußstapfen des Kalifen Umar ibn al-Khattab, der im Jahr 15 der Hidschra (637) die Rechte aller nichtmuslimischen Religionsgruppen urkundlich anerkannt hatte. Sultan Selim I. folgte Umars Beispiel und verkündete direkt nach der Eroberung Jerusalems per Erlass (Firman), dass alle Rechte von Christen und Juden unbedingt zu beachten seien – zum Beispiel das Recht aller nichtmuslimischen Religionsgruppen darauf, ihren Glauben frei ausüben zu können. Weiterhin wurden die Rechte der Nichtmuslime definiert und jede Verletzung dieser Rechte untersagt.
Jerusalems damaliger Richter brachte den Erlass zu Papier, und der Armenier Sarkiz Karakoç fertigte von dem Originaldokument mehrere Kopien an. Heute befindet sich das Original im Staatsarchiv des armenischen Patriarchats in Jerusalem. Die Verlautbarungen des Erlasses können aber auch im ‚Buch der Kirchen’ in den Osmanischen Archiven des Premierministers in Ankara eingesehen werden.
Es folgt eine Übersetzung des arabischen Textes des Erlasses, die ihrerseits eine Übersetzung der türkischen Version des Dokuments darstellt:
Möge dieser Erlass gebührende Beachtung finden!
Dieser ehrenvolle Erlass, verkündet von Seiner Majestät und versehen mit dem Monogramm des Sultans, gibt mit der Unterstützung Gottes Folgendes bekannt:
Mit Gottes Hilfe trafen wir am 25. Safar (dem zweiten Monat des arabischen Mondkalenders) des Jahres 923 (1517) der Hidschra in Jerusalem ein; in Begleitung eines Priesters, des armenischen Patriarchen Sarkiz, der uns darum bat, seinen Anhängern die Gunst zu gewähren, die Kirchen und andere Orte der Anbetung, die seit langen Zeiten unter ihrer Verwaltung stehen, unter ihrer Autorität zu belassen und den Vertrag zu erneuern, den die Kalifen Umar ibn al-Khattab und Salah ad-Din al-Ayyubi einst mit ihnen geschlossen haben.
So wurde beschieden, dass den armenischen Priestern weiterhin, wie in der Vergangenheit, die Verfügungsbefugnis über die Auferstehungskirche (die Grabeskirche), die Höhle von Bethlehem, in der Jesus Christus geboren wurde, die Schlüssel zum Nordtor, die zwei Kerzenständer und deren Kerzen am Auferstehungstor, die großen Kirchen, Mar Yaqub sowie über die Kirchen von Dayr az-Zaytun, Habs al-Masih und Nablus einschließlich der Kirchen der Abessinier, Kopten und Assyrer zugesprochen werden soll.
Dieser ehrenvolle Erlass schreibt vor, dass sich kein Anhänger einer anderen Religion in ihre Angelegenheiten einmischen darf. Ich persönlich habe dies angeordnet. Möge es gebührende Beachtung finden! Die Kontrolle und die Verfügungsgewalt über die oben genannten großen Kirchen sollen also bei ihren Besitzern liegen. Das gilt auch für die Kirchen in den Vororten und innerhalb der Grenzen des armenischen Patriarchats in Mar Yaqub. Und es gilt weiterhin auch für die Gotteshäuser anderer Religionsgruppen wie der Abessinier, der Kopten und der Assyrer. Das heißt, dass auch diese Gruppen das Recht besitzen, ihren Glauben in ihren Gotteshäusern frei auszuüben und ihre Orte der Anbetung selbst verwalten zu können. Weiterhin hat niemand das Recht, sich einzumischen in die Ernennung oder Entlassung derer, die mit den religiösen Angelegenheiten beauftragt sind, und in die Angelegenheiten derer, denen die Mönche, Priester, Erzbischöfe und Bischöfe unterstehen. All ihre religiösen Angelegenheiten, ihre Kirchen, Tempel, Klöster und andere heilige Orte unterstehen ihrer eigenen Autorität, und niemand hat das Recht, diese zu untergraben.
Angehörige aller Religionsgruppen haben ein Recht auf den Zugang zur Auferstehungskirche, und jeder hat das Recht, das Zentrum ebenso zu betreten wie das Grab der Jungfrau Maria in den Vororten Jerusalems. Jeder hat das Recht, die Höhle, in der Jesus Christus geboren wurde, zu besuchen und darüber hinaus auch die Schlüssel des Nordtores, die beiden Kerzenständer in der Auferstehungskirche, die Laternen auf dem Friedhof und die Kerzen. Dies soll dadurch gewährleistet werden, dass die in der Auferstehungskirche vollzogenen Zeremonien und Anbetungsakte den allgemein anerkannten Vorstellungen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen entsprechen.
Somit besitzen Menschen jedweder Herkunft das Recht, die Auferstehungskirche zu betreten, in ihr einher zu schreiten, ihr Tor zu betrachten, sich das Gold und die Edelsteine ihrer Fenster anzuschauen, das Heiligtum zu besichtigen sowie auch alle Brunnen und den Schrein von Mar Yuhanna im Garten der Auferstehungskirche. Jeder Mensch besitzt außerdem das Recht, Habs al-Masih in der Nähe von Mar Yaqub in den Vororten zu besuchen sowie die Räumlichkeiten von Yaqub, die ebenfalls in den Vororten gelegen sind, und die Räumlichkeiten und die Gasthäuser nahe der Höhle von Bethlehem.
Überdies wird dem oben erwähnten armenischen Patriarchat das Recht zugesprochen, alle seine Gärten und Olivenfarmen und ganz allgemein alle seine Kirchen, Tempel, Klöster und Schreine zu verwalten. Ihm wird die volle Verfügungsgewalt über all seine Besitztümer, Stiftungen und alles andere, was es besitzen mag, eingeräumt. Niemand darf die Armenier daran hindern, die Kirche oder den ‚Zamzam’ genannten Brunnen zu besichtigen. Und niemand darf ihren Farmen, ihren Gotteshäusern oder Schreinen irgendeinen Schaden zufügen. Niemand hat das Recht, ihnen den Besuch solcher Orte zu verbieten.
Von nun an soll dieser Erlass des Sultanats auf die hier dargelegte Weise befolgt werden. Kein Angehöriger einer anderen Religion darf sich in ihre [der Armenier] Angelegenheiten einmischen. Mögen sich meine ehrenhaften Kinder, Wesire, frommen Ratgeber, Richter, Beylerbeyis (Generalgouverneure), Gouverneure der Sanjaks (der kleineren Provinzeinheiten), Voyvode (einheimische Fürsten; Gouverneure oder Bürgermeister), Subashis (Kommissare) und Ihresgleichen an diese Verfügungen halten. Niemand sollte auch nur eine einzige von ihnen anfechten, und nichts, von dem, was hier erwähnt wurde, darf abgeändert oder umgestoßen werden. Wer dennoch dagegen eintritt, etwas abändert oder umstößt, der wird zu den Verbrechern und in Gottes Augen als Sünder zählen.
Jedermann sollte wissen dass meine Befehle, und mein Erlass, der mein Monogramm – Ich, der Eroberer der Welt – trägt, bestätigt werden; und möge der Inhalt dieses Erlasses gebührende Beachtung finden! Niedergeschrieben im Jahr 923 der Hidschra.
Diesem Erlass ist zu entnehmen, dass Sultan Selim I., nachdem er in Jerusalem eingetroffen war, den armenischen Patriarchen, die Geistlichen und andere Untertanen empfing. Er versprach ihnen Sicherheit, behandelte sie großzügig und erneuerte die Verträge, die Umar und Salah ad-Din mit ihnen geschlossen hatten.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass diese Form der Behandlung nicht auf Jerusalem allein beschränkt blieb. Auch an vielen anderen Orten wurde so verfahren. Einen ähnlichen Erlass stellte Sultan Selim I. beispielsweise auch den Mönchen des Katharinenklosters auf dem Berg Sinai aus, nachdem er sich 1517 in Kairo niedergelassen hatte. Er sprach ihnen die gleichen Rechte zu, wie er sie zuvor bereits dem armenischen Patriarchat, den Abessiniern und den assyrischen Kopten in Jerusalem gewährt hatte.
In der ganzen Geschichte des Islams hat es nicht einen Fall gegeben, in dem ein muslimischer Führer eine Kirche oder ein Gotteshaus belagert und angegriffen hätte oder auch nur verboten hätte, Wasser oder Lebensmittel mit in ein Gotteshaus zu nehmen. Nicht ein einziges Mal hat eine aus Muslimen bestehende Armee oder Schutztruppe jemandem nachgesetzt, der Zuflucht in einem Gotteshaus gesucht hat.
Das hier präsentierte Dokument und viele weitere ähnliche Dokumente haben ihre Gültigkeit nie verloren. Auch der Erlass, den Selim I. den Mönchen des Katharinenklosters ausgestellt hat, wurde bis zur Okkupation durch die Israelis im Kloster aufbewahrt; was später mit ihm geschah, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers dieses Beitrags.
Die Blütezeit: Süleyman der Prächtige
Sultan Süleyman der Prächtige (1520-1560) erwies sich nach seiner Thronbesteigung als vorzüglicher Bauherr und zeichnete sich auch auf dem Feld der Gesetzgebung aus. Nach 55 Jahren osmanischer Herrschaft gehörten nun alle arabischen Länder bis hin nach Telmisan in Marokko zum Osmanischen Reich.
Sultan Süleyman ließ einen großen Teil seiner Kriegsbeute den zwei erhabenen Moscheen in Mekka und der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zukommen. Er ließ die Außenwände der Felsendommoschee mit Keramikfliesen von hervorragender Qualität verkleiden, anstatt Mosaike zu verwenden, die von Zeit zu Zeit hätten erneuert werden müssen. So erhielt die Moschee einen blauen Keramiküberzug und schimmerte nicht wie die meisten anderen Moscheen in roten und grünen Farben. Diese Kacheln verliehen der Moschee einen einzigartigen Charakter, der ihr über viele Jahrhunderte erhalten blieb. Darüber hinaus ließ Sultan Süleyman den Sockel der Außenmauern mit Marmor verzieren und um den oberen Teil einen ‚Gürtel’ aus dunkelblauer Keramik mit Inschriften in Weiß legen. Er ordnete an, farbige Glasscheiben in die Fenster einzulassen, die mit hellem weißem Gips verankert wurden. Außerdem befahl Sultan Süleyman, dass alle Mauern der Stadt Jerusalem erneuert werden sollten. So verlieh er ihnen ein Erscheinungsbild, dass sie sich bis in die Gegenwart bewahrt haben.
Interessant ist, dass die Kirche von Marqad Isa bis 1545 über keine Glocken verfügte und erst Sultan Süleyman den Auftrag gab, welche dort aufzuhängen. Die Restaurierung der Kirche von Marqad Isa und ihrer Ornamente unterblieb aufgrund der Differenzen zwischen den christlichen Konfessionen. Grundsätzlich wäre es möglich gewesen, vorübergehend andere Orte für die Anbetung zu nutzen, sodass der Zustand der Kirche von der Zeit der Kreuzzüge hätte wiederhergestellt werden können.
Im Rund der Auferstehungskirche befand sich bis 1555 über dem Schrein ein kleiner bescheidener Überbau. Also ordnete der Sultan an, an dessen Stelle einen neuen, wohl gestalteten und zu dem Schrein passenden zu errichten. Zu jener Zeit wurde die Kirche unter den verschiedenen nicht miteinander harmonierenden christlichen Konfessionen aufgeteilt. Ihre Streitigkeiten untereinander verhinderten die notwendigen Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten. Infolgedessen wurde auch – bis 1719 – kein Glockenturm errichtet. Als er dann schließlich doch gebaut werden konnte, wurden auf Anweisung der Regierung alle Zeichnungen, Bildnisse und Stile im Originalzustand bewahrt.
Weil man befürchtete, die ursprüngliche Erscheinungsform zu verändern, gab man es auf, an der Auferstehungskirche Umbauarbeiten vorzunehmen, die eigentlich dringend notwendig gewesen wären. 1808 brach in der Armenierkirche ein Feuer aus, das zur Zerstörung ihres gesamten Westflügels führte, und man verständigte sich darauf, dass die Armenier selbst die erforderlichen Restaurierungsarbeiten leiten würden. Dies bestätigt ein Erlass von Sultan Mahmud II. (1808-1839).
Das 19. Jahrhundert wurde Zeuge vieler Ereignisse, die den Frieden und die Stille Palästinas und insbesondere Jerusalems erschütterten. Zum Beispiel griff Napoleon Bonaparte (1769-1821), dem man in Ägypten heftig zusetzte, Palästina an. Während er die Stadt Akka (am Nordrand der Bucht von Haifa) belagerte, ließ er einige französische Truppen auch Jerusalem angreifen, wo sie von den türkischen Streitkräften schließlich zurückgeschlagen wurden. 1831 wurden Palästina und Jerusalem von Muhammad Ali Pascha besetzt. Damit fiel die Stadt in die Hände der Ägypter. Kurz nachdem Abdülmecid I. (1839-1861) das Amt des Sultans übernommen hatte, übten die Großmächte der damaligen Zeit Druck auf die Region aus. Zuletzt schloss sich auch Frankreich diesen Nationen an, und 1840 wurde ein Vertrag unterzeichnet, der Ägypten zwang, Palästina zu verlassen. Anschließend drängten England und Österreich darauf, Jerusalem wieder der Autorität der Osmanen zu unterstellen, und erhielten diesen Druck bis gegen Ende des 1. Weltkriegs aufrecht. In der Endphase des Krieges jedoch, am 8. Dezember 1917, wurde Jerusalem von den Briten besetzt. In der Folge stand diese heilige Stadt, die in ihrer türkisch-osmanischen Ära eine unabhängige Verwaltung besessen hatte, bis 1948 unter britischer Verwaltung.
Wie die Geschichte Jerusalems dann unter Sultan Abdulhamid II. weiterging, und was er dafür tat, um die Stadt zu schützen ist ein eigenes Thema und soll ein andermal erzählt werden.