Jedes Jahr finden wir uns anlässlich des islamischen Fastenmonats Ramadan zusammen. Der berühmte türkische Volksdichter Yunus Emre, der vor sieben Jahrhunderten lebte, sagt:
Komm, lass uns einander kennenlernen
Uns das Leben erleichtern
Lass uns lieben und auch geliebt werden
Denn keinem bleibt ja diese Welt.
Wenn wir uns um einen Tisch versammeln, uns gegenseitig besser kennen zu lernen, dann machen wir das Leben leichter. Ein gegenseitiges Kennenlernen der unterschiedlichen Kulturen ist von größter Wichtigkeit. Nur wenn Dialog und Toleranz zwischen den Menschen herrschen, ist ein harmonisches Miteinander in der Gesellschaft möglich. Und gerade dieses Miteinander stärkt das Bewusstsein eines neuen Wirs, zu ein und der gleichen Gesellschaft zu gehören.
Ein gegenseitiges Kennenlernen sollte in einer angenehmen, dem Dialog förderlichen Atmosphäre stattfinden. Eine besondere Gelegenheit, eine solche Atmosphäre herzustellen, bietet der Fastenmonat Ramadan.
Woher kommt aber das Wort Ramadan? Ramadan ist ein arabisches Wort und wird aus der Wurzel ramida (vor Schmerz und Kummer entbrennen)abgeleitet. Verwandte Begriffe sind ramad, Verbranntsein (besonders des Bodens bei Hitze), und ramdâ, stark erhitzter Boden. Diese Wortbedeutungen verweisen auf das Hitzegefühl im Magen, das vom Durst erzeugt wird. Eine andere Interpretation lautet, dass der Ramadan die Sünden ausbrennt wie die Hitze den Boden. Im Ramadan sind Herz und Seele für die Anbetung und das Gedenken Gottes empfänglicher – nämlich genauso empfänglich, wie Sand und Steine es für die Hitze der Sonne sind. So hilft der Ramadan dem Gläubigen, sich neu zu orientieren, seine physischen und geistigen Veranlagungen zu vervollkommnen und sein Verhalten zu korrigieren.
Der Ramadan ist der Monat des Korans. In diesem Monat widmen sich Muslime besonders intensiv dem Studium und der Rezitation des Korans. Diese Praxis geht auf den Propheten Muhammad zurück. Außerdem besuchen sie häufiger die Moschee als in anderen Monaten. Der Ramadan schult die Selbstdisziplin der Muslime und erlaubt ihnen, Gott für Seine Gaben Dank zu sagen. Üblich ist auch, dass die Muslime in diesem Monat viel spenden und ihre Sozialabgabe (Zâkat) berechnen und bezahlen.
Der Monat Ramadan, der 9. Monat des islamischen Kalenders, hat 29 oder 30 Tage und wird mit Hilfe des islamischen Mondkalenders bestimmt, dessen Jahre um 10-11 Tage kürzer sind als die des Sonnenkalenders. Infolgedessen verschiebt sich der Monat Ramadan von Jahr zu Jahr und fällt im Laufe der Jahre in jede Jahreszeit: in den Herbst, den Sommer, den Frühling und den Winter. So lernt der Muslim, Einschränkungen, die sich durch das Fasten bei drückender Hitze oder strenger Kälte ergeben, zu ertragen.
Vorzüge des Fastens
Wesentlich und in erster Linie ist das Fasten eine Anbetung und eine geistige Übung, die uns näher zu Gott hinführt. Jeder Muslim sollte sich deshalb bewusst machen, dass er mit seinem Fasten vor allem das Wohlgefallen Gottes finden möchte.
Daneben kann das Fasten aber natürlich auch “materielle“ Vorteile mit sich bringen. So fördert es z.B. unser körperliches Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Wenn wir ganz bewusst fasten, bekommt unser Körper die Chance, sich einen Monat lang zu erholen und zu regenerieren. Der Kreislauf wird angeregt. Altes, in den Zellen gespeichertes Fett wird weggeschmolzen und neue Fette können aufgenommen werden. Wichtig ist, beim allabendlichen Fastenbrechen nicht unmäßig viel zu essen und sich vollzustopfen. Einige Muslime vergessen das leider oder halten sich zumindest nicht daran. Manche nehmen sogar im Monat Ramadan noch zu. Dies sollte man jedoch in jedem Fall vermeiden. Empfohlen wird folglich, keine schwere Kost zu sich zu nehmen. Auf die eigens für diesen Monat zubereiteten Köstlichkeiten braucht jedoch nicht verzichtet zu werden.
Erfahrungsmäßig stellt sich der Körper schneller auf die neue Situation ein, als man denkt, sofern man nur die Absicht zum Fasten fasst und realisiert. Wie schon der Volksmund kund tut, ist aller Anfang schwer, doch nach wenigen Tagen haben sich Seele und Körper auf den neuen Umstand eingestellt. Gebete verleihen zudem innere Zufriedenheit und Glück, sodass Hunger auch nur noch nominell empfunden wird. Denn es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass der Monat Ramadan eine Zeit der spirituellen Einkehr und der inneren Läuterung ist; und in diesem Sinne werden täglich zusätzliche Gebete vollzogen, wird spirituellen und sozialen Pflichten nachgekommen. Natürlich gibt es Muslime, die beim Abendessen Völlerei betreiben oder sich nicht immer dem Geist des Ramadans entsprechend verhalten. Und natürlich kommt es vor, dass Muslime Probleme beim Fasten am Arbeitsplatz haben oder sich generell schwertun beim Fasten. In dieser Hinsicht ist das Fasten aber auch eine Kampferklärung gegen die niederen Gelüste und ein Ansporn für die seelische und spirituelle Reifung des Menschen. Auf gar keinen Fall jedoch darf man auf gesundheitliche Kosten fasten.
Das Fasten dient auch der Stärkung des sozialen Empfindens und reguliert das soziale Leben der Muslime: Gesellschaftliche Beziehungen werden mehr als sonst gepflegt, Versöhnung wird gefördert, und die soziale Gemeinschaft betont. Das Ramadanfest, das den Fastenmonat abschließt, unterstreicht diesen Aspekt.
Wie das Fasten auf den Einzelnen wirkt, ist ganz unterschiedlich. Viele Muslime finden durch das Fasten zu innerer Einkehr und Ruhe. Sie nehmen sich die Zeit zum Nachdenken, die ihnen vielleicht in gewöhnlichen Monaten nicht zur Verfügung steht. Oft haben Fastende auch das Gefühl, dass sich ihr Körper von den ständigen Belastungen des Alltags erholen kann. So mancher allerdings muss sich eher in Geduld üben, weil ihn das Fasten, emotional und körperlich stärker anstrengt. Jeder empfindet das Fasten also ein wenig anders. Was allen fastenden Muslimen gemeinsam sein sollte, ist jedoch die Tatsache, dass sie den Akt des Fastens als Anbetung oder als Dienst an Gott bewerten. Sie alle hoffen darauf, dass sie dank ihres Fastens das Wohlgefallen Gottes finden und von ihrem Schöpfer im Jenseits dafür belohnt werden.
Eine Sonderstellung im Fastenmonat Ramadan nimmt die 27. Nacht des Ramadan ein, die als “Nacht der Bestimmung” bezeichnet wird. In dieser Nacht wurde dem Propheten Muhammad durch den Engel Gabriel die erste Offenbarung übermittelt.
Da der genaue Zeitpunkt dieser Nacht einer Aussage des Propheten zufolge uns Menschen nicht bekannt ist, suchen die Muslime sie während der letzten zehn Tage des Ramadan bzw. feiern sie in der Nacht vom 26. auf den 27. Ramadan. Im Gedenken an die erste Offenbarung des Korans verbringen sie die Nacht im Gebet und im Gedenken an Gott.
Außer dieser heiligen Nacht gibt es auch weitere besondere Ereignisse im Monat Ramadan wie z.B. ein spezielles Gebet, tarâwîh-Gebetgenannt, das in der Moschee oder Zuhause nach dem Nachtgebet verrichtet wird.
Beendet wird der Fastenmonat schließlich mit dem Ramadanfest Îdu l-fitr, dem Fest des Fastenbrechens.
Abschließende Gedanken
Mehr als zu jeder anderen Zeit im Jahr sind die Muslime im Fastenmonat Ramadan dazu aufgerufen, bewusst zu leben. Sie sollen innere Einkehr halten, sich auf der anderen Seite aber auch der Gemeinschaft – der Gesellschaft, in der sie leben – zuwenden und Augen für ihre Mitmenschen haben. Gerade in dieser Zeit können und sollten wir uns gegenseitig besseres Verständnis entgegenbringen. Erst so können wir eine gemeinsame friedvolle Zukunft errichten. Im Grunde steht und fällt alles mit den am Anfang erwähnten Worten von Yunus Emre:
Komm, lass uns einander kennenlernen
Uns das Leben erleichtern
Lass uns lieben und auch geliebt werden
Denn keinem bleibt ja diese Welt.