Es gibt Tausende verschiedene Arten von Blumen. Doch die Rose nimmt unter ihnen allen eine Sonderstellung ein. Sie hat die Menschheitsgeschichte geprägt und sich stets allergrößter Beliebtheit erfreut, obwohl ihr in den unterschiedlichen Kulturen ganz unterschiedliche Bedeutungen zukamen. Warum aber findet ausgerechnet die Rose so spielend leicht Zugang zu den Herzen der Menschen? Liegt es vielleicht daran, dass wir die Rose automatisch mit unvergesslichen Gedichten, der Liebe oder anderen positiven Gefühlen und Tugenden assoziieren? Möglicherweise durchflutet die perfekte Blüte der Rose ja auch unseren Geist mit dem sanften Licht des Morgens. Oder ist der Duft der Rose ganz einfach so stark, dass der Mensch ihn gar nicht ignorieren kann?
Auch wenn die Züchtung von Rosen durch den Menschen wohl ‚erst‘ vor 5.000 Jahren (wahrscheinlich in China) begann, deuten dokumentierte fossile Funde darauf hin, dass es bereits vor Millionen von Jahren Rosen auf der Erde gab. Wo auch immer man Rosen in Geschichtsbüchern erwähnt findet, stehen sie für bestimmte Dinge: Sie symbolisieren Liebe, Schönheit, königliche Würde, Tod, Krieg oder Politik. Gelegentlich repräsentieren sie sogar berühmte Persönlichkeiten.
Im Römischen Reich verwendete man Rosen, die großflächig im Nahen Osten angebaut wurden, zur Herstellung von Parfüm. Denn sie galten als die wohlriechendsten in der ganzen Welt. Ihr starker Duft ließ die Menschen annehmen, sie besäßen eine tiefe mystische Bedeutung. Rosen, die in China gezüchtet werden, duften nicht annähernd so stark; deshalb genießen sie wohl auch dort nicht den gleichen Stellenwert.
Ihren ersten Auftritt in der Literatur hatte die Rose wohl im 8. Jahr v.Chr.. In der Ilias, einem griechischen Heldenepos, wird der Körper Hektors mit Rosenöl eingerieben. In alten griechischen Mythen erscheint die Rose in den verschiedensten Formen. Die Reinheit und Unschuld der Göttin Aphrodite beispielsweise wird durch eine weiße Rose, ihre Leidenschaft und verletzte Liebe zu Adonis hingegen durch einige Tropfen ihres Blutes symbolisiert, die die weiße in eine rote Rose verwandeln. In einem anderen Mythos verstreut Zeus Rosen über die Erde und macht damit Eros und Psyche ein Hochzeitsgeschenk.
Auch die Römer schmückten ihre Mythen mit Rosen. Sie verwendeten sie außerdem bei Begräbnisfeierlichkeiten als Symbole der Auferstehung; und Flora war ihre Göttin des Frühlings und der Blumen. Man verehrte Flora zwar als Schöpferin der Rosen, behauptete jedoch, griechische Götter hätten ihr dabei geholfen, ihnen Leben und einen so schönen Duft einzuhauchen.
Wahrscheinlich besteht in Bezug auf die Rose ein Zusammenhang zwischen der Mythologie der alten Griechen und Römer und dem Christentum. Harpokrates, der von Eros mit einer Rose bestochen wurde, Verschwiegenheit zu bewahren, wurde zum Gott der Stille. Diese Verbindung zwischen Rose und Stille übernahmen wohl auch die Christen. In die Decken von Konferenzsälen gravierte man Rosen ein. Sie sollten darauf hinweisen, dass Diskussionen, die hier stattfanden, sub rosa (unter der Rose, d.h., geheim) waren.
Rosen und Religion
Christen symbolisieren mit der roten Rose das Leiden, das Märtyrertum und die Auferstehung Christi, aber auch die Mutterschaft und die Reinheit Marias. Maria wird in erster Linie mit der weißen Rose assoziiert. Die Gestalt der Rose beeinflusste außerdem die Liturgie. Im folgenden wunderschönen Gedicht von Wordsworth (1807) z.B. wird Maria in leuchtende Rosen gehüllt:
In einem von rankenden Rosen freudig umzäunten Stall,
und Maria! Oft neben unserem lodernden Feuer,
Während die Jahre des Ehelebens uns
wie ein Tag erschienen,
Dessen Verlauf dem Verlangen unserer Herzen antwortet. (www.poetry.com)
Oft heißt es auch, Maria wäre stets von Unmengen von wohlriechenden Rosenblättern umgeben gewesen. Viele Kirchenfenster zieren Darstellungen der Jungfrau Maria und anderer Heiliger, die eine Rose in der Hand halten. All diesen Vorstellungen liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Duft der Rose etwas Positives, Gutes ist.
Im 7. Jahrhundert wurde der Prophet Muhammad ebenfalls durch eine Rose symbolisiert. Hatte es schon zuvor fast den Anschein, als würde jede offene Rosenblüte auf eine andere großartige Persönlichkeit im Garten der Menschheit deuten, mehrte die Ankunft des Propheten die Reputation der Rose noch um ein Tausendfaches. Sein einzigartiges Wesen verlieh der Rose noch mehr Farbe, und seine vollkommene Moral wurde zur Quelle ihres Wohlgeruchs.
Farid ad-Din Attar (gest. 1230), einer der größten Sufi-Dichter aller Zeiten, schrieb in seinem Buch Rosengarten:
Im Rosenbeet glüht das Mysterium.
Das Geheimnis liegt verborgen in der Rose. (Saadi)
Von dem Sufimystiker Inayat Khan (1882-1927) stammt die Vorstellung, dass die Seele eines Sufis genauso viele unterschiedliche Qualitäten aufweist, wie die Rose Blätter besitzt. Diese unterschiedlichen Qualitäten setzen einen Duft frei, der die Form einer spirituellen Persönlichkeit besitzt. Der zarten Struktur der Rose entsprechen, so Inayat Khan, das feine Wesen des Sufis, sein Wohlverhalten, seine Ausdrucksweise, seine Handlungen usw.. So wie der Duft der Rose einen Raum erfüllt, durchdringt der Sufi die Gesellschaft und hilft ihr bei der Lösung ihrer Probleme.
Der Koran ehrt die rote Rose dadurch, dass er unter allen Blumen nur sie in einem Vers beim Namen nennt:
Und schließlich, wenn der Himmel auseinandergerissen wird und sich rosa verfärbt wie rote Tierhaut – Darum (o ihr Menschen und Dschinn), welche der Gunstbeweise eures Herrn wollt ihr da leugnen? (55:37-38)
Die Schönheit der einzelnen Rose ist nur einer der zahlreichen Gunstbeweise, die Gott für uns bereithält. Die Rose verfügt über eine auffällige Gestalt; und der, der sie erschaffen hat und den Himmel ähnlich spaltet, wie wir eine Rose auseinander pflücken, hat sie so erschaffen, dass uns einfach klar werden muss, dass es für ihre Erschaffung gute Gründe gibt.
In der islamischen Tradition gilt Parfüm als Nahrung für Seele und Geist. Ein Hadith weiß zu berichten, dass ein gutes Parfüm zu jenen Dingen gehörte, die dem Propheten am angenehmsten waren. Aus diesem Grunde reiben sich Muslime insbesondere vor dem Gebet oft Rosenwasseressenz in die Haut ein. Rosenwasser ist auch das bevorzugte Imprägniermittel für den Miswak (eine traditionelle Zahnbürste, deren Borsten aus den Zweigen eines faserigen Baums hergestellt werden).
Die Rose verfügt aber nicht nur über einen sehr schönen Duft, sondern auch über diverse Aroma-therapeutische Vorzüge. Sie kann als wirkungsvolles und erbauendes Antidepressivum eingesetzt werden, fördert die Verdauung und beruhigt angespannte Nerven. All diese Vorzüge entfalten sich bereits dann, wenn man seine Haut mit einigen Tropfen Rosenwasser oder -essenz besprenkelt, einige Tropfen ins Badewasser gibt oder sie auf einem Duftschälchen verbrennt.
Die Assoziation der Rose mit der Religion ist so alt wie die Religionen selbst. Wie schön wäre es, wenn die Verehrung der Rose, die bei Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen zu beobachten ist, dazu beitragen könnte, uns die Erkenntnis zu vermitteln, dass wir Menschen durch diese kleinen Dinge miteinander verbunden sind. Darüber hinaus haben die drei monotheistischen Kulturen ihren Ursprung im Nahen Osten, der angestammten Heimat der Rose.
Die Rose in anderen Kulturen
Auch in vielen anderen Kulturen wird der Rose eine große Bedeutung zugemessen. Im Hinduismus z.B. betet man Gottheiten an, indem man ihnen zu Hause und im Tempel Rosenöl darbringt. Alte persische Sagen berichten von einer Nachtigall, die eine weiße Rose so sehr liebte, dass sie sie ganz fest umschloss. Die Dornen, die sie dadurch in die eigene Brust trieb, sorgten dafür, dass Bluttropfen auf die Blüten der Rose fielen und sie rot einfärbten. Eine Rosengattung, die ‚Damaszenerrose‘, verdankt ihren Namen dieser Sage. In vielen Sprachen ist ‚Rose‘ der populärste Mädchenname. Das türkische Wort Gül beispielsweise bedeutet ‚Rose‘ und ‚Lächeln‘. Seine zahlreichen Ableitungen sind bei den Menschen sehr populär.
Im 12. oder 13. Jahrhundert brachten Ritter, die von den Kreuzzügen zurückkehrten die Rose mit zurück nach Europa. Mitte des 15. Jahrhunderts bedienten sich die verschiedenen Gruppen, die in England um die Macht kämpften, der Rose als Symbol. So stand die weiße Rose für York, die rote für Lancaster. Der Konflikt der beiden Städte wurde von Historikern als ‚Krieg der Rosen‘ bezeichnet. Da Lancaster den Krieg gewann, ist die rote Rose auch heute noch das Symbol Englands. Im 17. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Rosen so stark an, dass das Königshaus Rosen und Rosenwasser als legale Zahlungsmittel anerkannte. Beides wurde also als Tauschware oder als Entgelt akzeptiert. Napoleons Frau Josephine betrieb im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert in Paris eine eindrucksvolle Rosenzucht.
Fazit
Heute verschenken die Menschen Rosen zu speziellen Anlässen. Wie Shakespeare es ausdrückte: „So wie die Rose den Wohlgeruch in sich trägt, birgt sie auch eine geheime Bedeutung, die wir verstehen müssen.“ Am Valentinstag bekunden wir mit Rosen unsere Liebe, und am Muttertag sagen wir mit ihnen unseren Müttern, dass wir ihnen für ihre Fürsorge danken.
Die Popularität von Blumen steht und fällt im Allgemeinen mit den vorherrschenden Trends im Gartenbau. Gärtner haben jedoch erkannt, dass die Rose zum Lebensstil aller Jahrhunderte passt. Nachdem die Begeisterung für Rosen im 20. Jahrhundert vorübergehend abgeflaut war, erlebte sie mit der Rückkehr zur Spiritualität ein wenig überraschendes Come-back.
Die Rose besitzt einen Einfluss auf uns, der nur schwer in Worte zu fassen ist. Sie erzeugt einen Widerhall, der über ihre atemberaubende Schönheit weit hinausgeht.
Kayley Hollis