An einem frühen Frühlingsmorgen sticht ein verwirrter Mann am Bahnhof in einem Vorort von München mit einem Messer auf Berufspendler ein. Ein Mann stirbt, drei weitere werden schwer verletzt. Der Täter soll religiöse Parolen wie „Allahu Akbar“ gerufen haben, im Windeseile gehen Medien von einem islamistischen Motiv aus, das Landeskriminalamt ruft dazu eine 80-Mann starke Sonderkommission zusammen, die ohnehin angereizte Stimmung in der Republik wird ein weiteres Mal auf die Probe gestellt.
Der Bundesinnenminister höchstpersönlich fühlt sich genötigt eine Pressekonferenz abzuhalten. Danach, ein Aufatmen geht durch die Reihen, denn der Täter ist weder ein Muslim noch ein Migrant.
Sollten wir aber wirklich aufatmen? Nur, weil der Täter kein islamistisches oder kulturelles Motiv aufweist? Sind die Schmerzen der Hinterbliebenen nun weniger schmerzvoll und der Verstorbene nun weniger Tod und sein Tod weniger tragisch, bloß weil der Täter kein Islamist war? Sind Taten von Einheimischen weniger gefährlich und weniger kriminell als die von Migranten? Die Liste lässt sich sicherlich so weiterführen.
Wie würden wohl die Meldungen weiterlaufen, wenn der Täter Muslim mit oder ohne Migrationshintergrund wäre, aber in Wahrheit drogenabhängig, kriminell oder psychisch krank wäre? Die Antwort gibt uns zu bedenken, wie es um Berichterstattungen bestellt ist.
Berichterstattungen, diesmal über „islamistische Messerstecher“ erfolgen immer in einem bestimmten Kontext, der die Bevölkerung für bestimmte Botschaften empfänglich macht. Nach einer fünfjährigen Pause nach Sarrazin beobachten wir aktuell mit großer Sorge eine neue unheilvolle Stimmung der Intoleranz: Pegida will Europa vor der Islamisierung retten, syrische Flüchtlinge kommen nach Deutschland, Flüchtlingsheime und Moscheen brennen, IS-Terroristen verüben Anschläge in Brüssel, AfD mobilisiert rassistische Ressentiments mit ihrem Anti-Islam-Wahlprogramm.
Doch solche Meldungen sagen weniger über den eigentlichen Sachverhalt aus als vielmehr über die geistige Verfassung der Mehrheitsgesellschaft und über ihren Umgang mit Minderheiten. Denn die Tat eines psychischkranken Mannes dürfte in der Regel nicht über die Grenzen der Regionalblätter und -sender hinausschaffen, doch dies ändert sich schlagartig, wenn der Meldung der Zusatz Muslim oder Migrant hinzugefügt wird. Diese diskriminierenden Mechanismen laufen meist unbewusst ab und umso wichtiger ist es, den Blick dafür zu schärfen und eine Sensibilität und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
In sensiblen Zeiten wie die heutige ist es umso wichtiger, dass wir als Gesamtgesellschaft Verantwortung übernehmen. Allen voran spielen dabei Politik und Medien eine zentrale Rolle. Auch Behörden sollten keine übereilten, möglicherweise auch durch die eigenen Vorurteile begleiteten Schlüsse ziehen und daher erst nach penibler Untersuchung ihre Ergebnisse bekannt geben. Doch Medien kommt eine viel größere Verantwortung zu. Sie sind nicht dazu da, sich selbst verwirklichende Prophezeiungen zu verbreiten, wonach in den Köpfen von Millionen Menschen umherschwirren soll: Schon wieder der Islam!? Schon wieder die Muslime!?