Als ich die barbarischen Terroranschläge von Hamas auf Israel und die nachfolgenden Schreckensbilder sah, musste ich eine Weile schweigen. Ich wollte etwas schreiben, aber ich konnte es nicht.
Im ersten Moment schien es mir wie ein Selbstmord von Hamas, der nicht nur viele unschuldige jüdische Menschen, sondern auch das eigene Volk mit in den Tod reißt. Über alle rationalen, ethischen, religiösen Gedanken hinaus war die Tat an sich so barbarisch, dass sie fassungslos macht.
Und Muslime müssen sich mit der Anwendung von roher barbarischer Gewalt, die man auch religiös begründen kann, endlich grundsätzlich auseinandersetzen. Es reicht nicht, solche Taten nur zu verurteilen. Viele muslimische Gemeinden haben erst nach Kritik an ihrem Schweigen reagiert, was beschämend ist. Sie müssen auch ernsthaft über Lösungen in ethischer, religiöser, sozialer und pädagogischer Hinsicht nachdenken.
Der fast ewige Konflikt ist ja bekannt. Es handelt sich hier offenbar um eine Sackgasse. Man steckt in einer richtigen Klemme. Daher ist eine Gesprächs- und Diskussionskultur unverzichtbar, die von Offenheit, Respekt und Toleranz für verschiedene Ansichten geprägt ist. Es ist auch wichtig, dass jeder antisemitischen Äußerung und jeder menschenverachtenden Aussage entschieden entgegengetreten werden muss. Gerade in diesen unsicheren Zeiten wird emotionale Unterstützung durch Empathie und Zuhören mehr denn je gebraucht. Auch müssen die Werte wie Toleranz, Respekt und Solidarität unbedingt weitervermittelt und auch in Bildung implementiert werden.
Aber wie können wir jetzt uns mit dieser offensichtlichen Herausforderung auseinandersetzen? Wie können wir weiterkommen, ohne dass wir Kritik an beiden Seiten ausüben. Gibt es überhaupt eine gute und schlechte Gewalt oder eine gute und schlechte Zerstörung/Barbarei? Hier muss ich unterstreichen, dass die Kritik an israelischer Politik gegen die palästinensische Zivilbevölkerung keinesfalls auch nur ansatzweise als Relativierung der Barbarei von Hamas oder Infragestellung des Existenzrechtes von Israel etc. verstanden werden darf!
Die Problematik ist vielschichtig, historisch und religiös
Die eigentliche Problematik ist vielschichtig und mehrdimensional, historisch und religiös bedingt, vorurteilsbeladen und von Unwissenheit geprägt! Terror und Barbarei von Hamas und die Ohnmacht der arabischen Länder einerseits, das jahrelange Leid und die Tragödie der palästinensischen Bevölkerung andererseits, die seit Jahrzehnten unter miserablen/unmenschlichen Bedingungen in der Region leben muss, und die unrechtmäßige Siedlungspolitik und infolgedessen die programmatische Ersetzung der einheimischen Bevölkerung durch jüdische Migranten ist eine ganz andere Geschichte. All diese Entwicklungen und Faktoren sind aber miteinander so verflochten, dass alles eine differenzierte und sensible Haltung erfordert. Daher sollte man mit der Sache achtsam und inhaltlich gut begründet umgehen. Man muss sich bemühen, eine akzeptable und gemäßigte Herangehensweise zu finden. Denn das Thema ist emotional aufgeladen und kann deshalb heftige, vorschnelle und unreflektierte Reaktionen auslösen.
Eine muslimische Schülerin kam am Ende des Unterrichts zu mir und sagte ganz leise in Bezug auf die neusten Ereignisse: „Für wen sind Sie?“ Wenn muslimische Kinder und Jugendliche in diesem komplexen Konflikt einseitig Partei ergreifen wie Fußballfans für ihre Mannschaft, ist pädagogisches Handeln erforderlich. Angesichts medialer Manipulation und Propaganda muss nicht nur in Schulen, sondern auch in Moscheen und Elternhäusern differenziert, reflektiert und sachlich gegengesteuert werden.
Das Problem ist fast unlösbar, aber man kann wenigstens die Ursachen verständlicher machen und der Gewalt bzw. Feindseligkeit entgegenwirken, indem man die universellen Werte hervorhebt.
Wenn wir die begangenen Sünden einer Partei nicht verurteilen und nur auf die Sünden und Barbareien der einen Seite fokussieren, erzeugt es Feindseligkeit im Gegenüber und kann daher in keiner Weise zielführend sein. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Muslime und Israelis als Erstes damit aufhören könnten, ihre Handlungen und Ziele mit religiösen Texten zu rechtfertigen. Denn wir leben nicht in der Geschichte, sondern im Hier und Jetzt. Der Konflikt hat geschichtliche, soziologische, politische und wirtschaftliche Hintergründe, die miteinander verwoben sind.
Meine Kritik geht u.a. auch an die arabischen Länder in der Region. Warum haben sie bis jetzt keine Verantwortung für eine gemäßigte, akzeptable Lösung der Problematik übernommen und die palästinensische Bevölkerung in den Händen der Terrorgruppen gelassen? Durch eine antisemitische und israelfeindliche Haltung haben diese Länder anscheinend innerpolitisch eher profitiert als zu einer Lösung des Konflikts beigetragen.
Keine Rechtfertigung, sondern eine klare Positionierung
Muslime brauchen keine Rechtfertigung und kein Sich-Hineinversetzen in eine Opferrolle, wie es oft der Fall ist, sondern eine klare Positionierung für Frieden, Demokratie und universelle Werte. Wenn sie für diese Brutalität in deutschen Städten auf die Straße gehen und für die Hamas-Barbarei demonstrieren, dann müssen sie sich nochmal über ihre Religion und Werte hinaus mit den Qualitäten des Menschseins auseinandersetzen sowie nicht doppelmoralisch handeln. Die Freiheit hierzulande darf man nicht für Gewaltverherrlichung ausnutzen, das gilt aber für alle Parteien. Muslime dürfen auch nicht wegen israelitischer Fehlpolitik pauschalisierend die Juden schuldig machen und einen bloßen Antisemitismus betreiben. Das erfordert aber einen geistigen Perspektivenwechsel in vielen islamisch begründeten Fragen.
Zudem haben viele europäischen Länder und die USA auch mehrmals von Zweistaatenlösung gesprochen, aber dafür nicht wirklich wirksame Impulse gesetzt. Sie konnten noch nicht mal die gerade in der jüngeren Vergangenheit zunehmende unrechtmäßige Siedlungspolitik Israels im Westjordanland verhindern.
Man kann ein Problem lösen, aber man muss zunächst einmal seinen Willen zeigen. Will Israel tatsächlich Frieden? Wenn ja, unter welchen Umständen? Will Hamas oder Hisbollah in der Region Frieden? Wenn ja, unter welchen Umständen?
Es darf nicht um einen Machtkampf gehen! Die israelische/jüdische und palästinensische/muslimische Bevölkerung darf nicht unter dem Machtkampf blutrünstiger Politiker leiden. Alle Anstrengungen müssen unternommen werden, wieder zu den hoffnungsvollen Ansätzen der 90er Jahre des vorherigen Jahrhunderts zurückzukehren. Sie setzten auf Verhandlungen und gegenseitige Anerkennung: Der Oslo-Friedensprozess führte 1993-95 zur gegenseitigen Anerkennung zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und ermöglichte die Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde, die schrittweise Selbstverwaltungsrechte erhielt. Ein weiteres Zeichen der Annäherung war der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien im Jahr 1994, durch den Jordanien nach Ägypten als zweites arabisches Land Israel offiziell anerkannte. Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen bis zur Camp-David-Gipfel scheiterten die Friedensbemühungen letztlich an politischen Differenzen, mangelndem Vertrauen und erneuter Gewalt, insbesondere durch den Ausbruch der Zweiten Intifada im Jahr 2000.
Durch die jetzigen schrecklichen Ereignisse und auch die fortgeschrittene Siedlungspolitik, die auch in Israel viele Kritiker hatte, erscheint eine Annäherung noch schwieriger. Das Ziel ist aber jede Anstrengung wert.