Eine Antwort auf die im Titel gestellte Frage halten jene Verse des Koran bereit, die vor ca. 1.400 Jahren zu den Themen angemessene Reaktionen auf Provokationen und Handeln für den Frieden offenbart wurden.
Während der 13 Jahre, die die Muslime vor der Hidschra in Mekka verbrachten, wurden sie vom Koran und vom Propheten Muhammad immer wieder dazu aufgefordert, sich trotz starker Verfolgungen und Repressalien in Geduld zu üben. Auch nach der Gründung des islamischen Stadtstaats in Medina und dem damit verbundenen Erstarken der Muslime wurden diese dazu aufgerufen, ihren Feinden zu verzeihen und mit ihnen Frieden zu schließen. Sogar nach der Schlacht von Badr (624), in der die Muslime siegten, wurde Muhammad ein entsprechender Vers offenbart:
Und wenn sie jedoch zum Frieden geneigt sind, so sei auch du ihm geneigt und vertraue auf Allah. (8:61)
Obwohl die Muslime damals einen Sieg errangen und durchaus stark genug waren, sich für die zuvor erlittenen Demütigungen zu rächen, wurde ihnen auferlegt, besonnen zu handeln. In dieser Situation zeigte sich, dass der Islam eine Religion des Friedens und der Liebe ist, die den Frieden immer über den Krieg stellt.
Im Jahr 628 (sechs Jahre nach der Hidschra, der Auswanderung der Muslime von Mekka nach Medina) träumte der Prophet Muhammad, dass die Muslime mit kahl rasierten Häuptern nach Mekka gingen. Daraufhin beschlossen sie, die Kaaba zu besuchen, d.h. die Umra (die kleine Pilgerfahrt) zu verrichten. Da die Umra eine rituelle Handlung darstellt, machten sie sich auf den Weg nach Mekka, ohne ihre Kriegsrüstung angelegt zu haben. Daraufhin stellten die Mekkaner ein Heer auf und traten den Muslimen bei Hudaibiya entgegen. Der Prophet Muhammad schickte Uthman zu ihnen, um ihnen mitzuteilen, dass sie nur die Absicht hätten, die Umra zu verrichten, und nicht in den Krieg zu ziehen. Im Endeffekt wurde ein Friedensvertrag (der Friedensvertrag von Hudaibiya) geschlossen. Die Bestimmungen dieses Vertrags gestatteten dem Propheten, im folgenden Jahr die Pilgerfahrt zu vollziehen. Mekka sollte dann drei Tage lang für die muslimischen Pilger geräumt werden. Der Vertrag legte auch eine Waffenruhe für die Dauer von zehn Jahren fest. Er regelte, dass es den Stämmen und Einzelpersonen überlassen blieb, sich einer der beiden Vertragsparteien anzuschließen und ein Bündnis mit ihr zu schließen. Außerdem sah er vor, dass den Quraisch unfreie, bzw. von ihnen abhängige oder zu ihnen gehörige Menschen, die vom Heidentum zum Islam übergetreten waren, ausgeliefert werden sollten. Die Bedingungen, die dieser Vertrag den Muslimen auferlegte, waren für viele der Muslime unannehmbar. Dennoch akzeptierte der Prophet den Vertrag. Denn er enthielt folgende Klausel: “Zwischen den Muslimen und der anderen Seite wird 10 Jahre lang kein Krieg herrschen, und beiden Seiten wird das Leben und das Eigentum der jeweils anderen verwährt bleiben.” Das Motiv des Propheten, dem Frieden eine sehr hohe Priorität einzuräumen, bestätigen alle Korankommentare und die entsprechenden Hadithe übereinstimmend.
Wenn wir uns die zu diesem Thema offenbarten Verse einmal näher anschauen, erkennen wir, dass Aggressivität, Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu keiner Zeit gebilligt wurden:
Gott verbietet euch nicht, gegen jene, die euch nicht des Glaubens wegen bekämpft haben und euch nicht aus euren Häusern vertrieben haben, gütig zu sein und redlich mit ihnen zu verfahren; wahrlich Gott liebt die Gerechten. (60:8)
Darum, wenn sie sich von euch fern halten und nicht gegen euch kämpfen, sondern euch Frieden anbieten; dann hat Allah keinen Grund gegen sie gegeben. (4:90)
Und der Hass gegen eine Gruppe soll euch nicht (dazu) verleiten, anders als gerecht zu handeln. (5:8)
Wenn jemand einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen hätte, ohne dass ein Unheil im Lande geschehen wäre, es so sein soll, als hätte er die ganze Menschheit getötet. (5:32)
Eine Bestrafung steht allein Gott zu:
Sprich zu denen, die glauben, sie mögen denen vergeben, die nicht mit den Tagen Allahs rechnen, auf dass Er die Leute mit dem belohne, was sie verdienen. (45:14)
Im Islam gibt es keinen Zwang im Glauben. Denn dies würde dem Prinzip widersprechen, dass Gott dem Menschen einen Willen gegeben hat, für den er letztlich zur Verantwortung gezogen werden wird.
Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der richtige Weg ist nun klar erkennbar geworden gegenüber dem unrichtigen. (2:256)
Ihr habt eure Religion und ich habe meine Religion. (109:6)
Nach der Schlacht von Uhud (625) wollte der Prophet Muhammad die Götzenanbeter verfluchen. Gott aber ermahnte ihn, darauf zu verzichten. Ein anderes Mal baten einige arabische Stämme den Propheten um Abgesandte, die ihnen den Koran beibringen sollten. Diese Abgesandten wurden jedoch in einen Hinterhalt gelockt und getötet. Aus diesem Grunde verfluchte der Prophet sie für einen Zeitraum 30-40 Tagen, damit sie von Gott bestraft werden sollten. Doch Gott offenbarte den folgenden Vers:
Von dir ist es gar nicht abhängig, ob Er Sich ihnen wieder verzeihend zuwendet oder ob Er sie straft; denn sie sind ja Frevler. (3:127)
Schließlich besiegte der Prophet Muhammad die Götzenanbeter, die die Muslime aus ihren Heimatländern vertrieben, sie ständig gequält und getötet und den Friedensvertrag von Hudaibiya gebrochen hatten. Mit einem starken und unwiderstehlichen Heer eroberte er Mekka. Nachdem er in einer angespannten Atmosphäre in die Stadt eingezogen war, fragte er die beunruhigt und ängstlich wartenden Götzenanbeter: Was glaubt ihr, wie ich euch behandeln werde? Die Mekkaner, die seinen Edelmut und seine Barmherzigkeit kannten, sagten: „Du bist ein ehrenhafter Mann, der Sohn eines ehrenhaften Mannes!“ Da verzieh der Prophet ihnen mit den Worten:
Ich werde euch behandeln, wie der Prophet Josef seine Brüder behandelt hat. Euch sollen heute keine Vorwürfe gemacht werden. Kehrt in eure Häuser zurück; ihr seid alle frei! (Iraki, el-Mugni an Hamli’l Efsar, 3-179)
Ikrima, der Sohn Abu Dschahls, der genau wie sein Vater den Islam erbittert bekämpft hatte, hatte an allen Angriffen gegen den Islam und seinen Propheten teilgenommen. Noch an dem Tag, an dem Mekka eingenommen wurde, hatte er das Blut von Muslimen vergossen und war anschließend geflohen. Seine Frau Umm Hakam eilte ihm nach. Sie erzählte ihm, der Prophet habe allen vergeben, und konnte ihn überreden, wieder zurückzukehren. Bevor Ikrima zum Propheten kam, wies dieser seine Gefährten an: Ikrima kommt zurück; niemand soll schlecht über seinen Vater Abu Dschahl sprechen und ihn dadurch kränken. Als Ikrima eintrat, empfing der Prophet ihn mit den Worten: Gegrüßt sei der, der mit einem Schiff ausgewandert und zurückgekehrt ist.Ikrima, der so liebevoll und freundschaftlich empfangen wurde, sprach auch später noch oft vom Edelmut des Propheten: „Solange ich lebe, werde ich diese Reaktion des Gesandten Gottes nicht vergessen!“
Das Märtyrertum im Islam und die Selbstmordattentate
Das Märtyrertum besitzt im Islam einen hohen Stellenwert. Als Märtyrer gellten alle diejenigen, die auf dem Wege Gottes ihr Leben lassen. Den Büchern des Fiqh (der islamischen Rechtswissenschaft) zufolge gibt es drei Gruppen von Märtyrern:
- Muslime, die bei einem Krieg oder bei einem Überfall von Wegelagern zu Tode kommen.
- Muslime, die beim Schutz ihres Eigentums, ihres Lebens, ihres Gewissens oder ihrer Ehre ums Leben kommen oder bei dem Versuch sterben, andere Muslime oder unter dem Schutz von Muslimen stehende Nichtmuslime zu schützen. Märtyrer, die diesen beiden Kategorien zuzuordnen sind, werden nur mit einem Totengebet beerdigt. Ihre blutige Kleidung behalten sie am Körper, die Totenwaschung wird bei ihnen nicht durchgeführt.
- Märtyrer, die am Krieg teilgenommen oder gegen Terroristen gekämpft haben, aber erst später, nicht an den unmittelbaren Folgen dieser Kämpfe, sterben. Auch Muslime, die durch Ertrinken, Verbrennen oder Gebären zu Tode kommen und in der Fremde oder beim Erlernen einer Wissenschaft gestorbene Muslime werden dieser Kategorie zugerechnet. Sogar Händler, die aufrichtig Handel treiben und Menschen, die ihre Familien versorgen und dabei umkommen, werden dieser Gruppe der Märtyrer zugezählt.
Bediuzzaman Said Nursi zählte auch die Anhänger der Buchreligionen (Christen und Juden), die im 2. Weltkrieg fielen, zu dieser dritten Kategorie. Er bezeichnete durch die Macht Gottes und durch menschliche Gräueltaten umgekommene Nichtmuslime über 15 Jahren als Märtyrer, sofern sie denn unschuldig und unterdrückt waren. Kinder unter 15 Jahren, egal welcher Religion sie angehören, sind ohnehin von jeder Verantwortung ausgenommen.
Wer bei der Verteidigung seines Lebens, seiner Religion oder seiner Familie getötet, wird ist ein Märtyrer“ (Tirmidhi, Diyat, 22; Abu Dawud, Sunna, 32)
Der Stellenwert der Märtyrer im Jenseits ist hoch, und deshalb werden sie auch mit dem Paradies belohnt werden. Allerdings umfasst das Märtyrertum im Islam ein breiteres Spektrum, als man es in der westlichen Welt im Allgemeinen kennt. Dort gilt ein Märtyrer quasi als Selbstmörder oder Selbstmordattentäter, was jedoch absolut falsch ist. Denn Selbstmord verurteilt der Islam auf’s Schärfste:
„Und begeht nicht Selbstmord!“ (4:29)
Wenn jemand einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen hätte oder ohne dass ein Unheil im Lande geschehen wäre, es so sein soll, als hätte er die ganze Menschheit getötet. (5:32)
Diese beiden Verse zeigen ganz klar auf, dass Selbstmord im Islam verboten ist. Der Prophet Muhammad sagte, dass diejenigen, die von einem Berg herunter springen, sich vergiften oder sich mit einer tödlichen Waffe selbst umbringen, in die Hölle eingehen und dort den Akt ihrer Selbsttötung unendlich lange wieder und wieder durchleben werden. (Sahih Bukhari, Tibb Bahsi)
Der Islam verbietet sowohl Hungerstreiks (Todesfasten) als auch Selbstmordattentate, denen ja fast ausschließlich unschuldige Menschen und sogar Kinder zum Opfer fallen. Imam Abu Yusuf, der Schüler Abu Hanifas (des Gründers der hanafitischen Rechtsschule) war sogar der Auffassung, dass für Menschen, die Selbstmord begehen, kein Totengebet verrichtet werden dürfe. Sonst wird im Islam nur für diejenigen kein Totengebet verrichtet, die ihre Eltern umgebracht oder Überfälle verübt haben.
Was das Töten anderer Menschen betrifft, so enthalten Koran und Sunna ganz klare Aussagen und Warnungen:
Und verlies ihnen in Wahrheit die Geschichte von den zwei Söhnen Adams, als sie beide ein Opfer darbrachten, und es von dem einen angenommen wurde. Da sagte dieser: „Wahrhaftig, ich schlage dich tot.“ Jener erwiderte: “Allah nimmt nur von den Gottesfürchtigen (Opfer) an. Wenn du auch deine Hand nach mir ausstreckst, um mich zu erschlagen, so werde ich doch nicht meine Hand nach dir ausstrecken, um dich zu erschlagen. Ich fürchte Allah, den Herrn der Welten. (5:27-28)
In einem anderen Vers heißt es:
Und wer einen Gläubigen vorsätzlich tötet, dessen Lohn ist Gahannam (die Hölle), worin er ewig bleibt. Allah wird ihm zürnen und ihn von Sich weisen und ihm eine schwere Strafe bereiten. (4:93)
Der Prophet Muhammad sagte:
Es gibt hienieden keinen zu Unrecht getöteten Menschen, dessen Mörders Sünden nicht auch Abel, dem ersten Sohn Adams, zugerechnet werden. Denn er war derjenige, der den Menschen den Weg des Zu-Unrecht-Tötens bereitete. (Bukhari, Diyat, 2; Muslim, Qasama, 27)
Der Anschlag auf das World-Trade-Center traf sehr wohl unschuldige Menschen, auch Muslime, die dort arbeiteten oder sich aus geschäftlichen Gründen dort aufhielten. Unschuldige Opfer sind bei Anschlägen dieser Art überhaupt nicht auszuschließen. Auch in den in die Luft gesprengten Bussen oder Restaurants in Israel gehören in der Regel unschuldige Zivilisten und Muslime zu den Todesopfern. Bomben können nicht zwischen Gut und Böse, Unschuldig und Schuldig unterscheiden. Wie also können solche Angriffe mit dem Verweis auf den Islam gerechtfertigt werden?