Die Tatsache, dass sich Menschen an der Macht berauschen, ist ein Phänomen in jeder Gesellschaft. Im politischen Sinne spricht man auch von einer Machtvergiftung. Der Mensch ist also ständig mit einem Machtproblem konfrontiert.
Boni Eriola Richard Atchadè beschäftigt sich in seinem Buch „Die Philosophie der Macht“ (De Gruyter) mit dem zentralen Thema „Macht“, die allgegenwärtig ist. Der Untertitel des Buches weist schon auf das inhaltliche Leitmotiv auf: „Paul Tillichs Verständnis der Macht im Kontext philosophischer Machtheorien im 20. Jahrhundert“. Die diversen Betrachtungen über Geschichte und Wesen der Macht werden in diesem Zusammenhang diskutiert. Das Ziel des Buches ist es, sich dem komplexen Wesen der Macht philosophisch anzunähern. Dabei geht es um einen Begriff, der „sehr umstritten, kontrovers und heterogen“ ist und mit allen möglichen Facetten dargestellt wird.
Besonders im 20. Jahrhundert wurde die Machtdebatte zu einem Grundthema. Es wird aus den Perspektiven zahlreicher Denker und Philosophen erläutert, weil die Welt in diesem Jahrhundert durch die unkontrollierten Mächte die grauenvollsten Katastrophen, Krisen und Kriege erleben musste.
Es ist ja nicht ganz grundlos, wenn Nietzsche feststellt, dass „die Macht verdummt!“ Er hält den Grundtrieb nach Macht für das furchtbarste Verlangen des Menschen.
Ist „die Macht an sich böse“, wie Volker Gerhardt behauptet? Die Macht kann man missbrauchen. Daher muss man gegen ihren Missbrauch Kontrollmechanismen konstruieren und errichten.
Bestimmt haben all diese Konnotationen der Macht mit dem Prinzip der „Unergründlichkeit“ des Menschen zu tun. Ich glaube, alle Ansätze rund um das Thema „Macht“ sind in gewissem Maße irgendwie richtig. So kommt es mir wenigstens beim analytischen Lesen vor. Denn; wenn der Mensch als rätselhaftes Mikrouniversum gilt, so versuch(t)en selbstverständlich viele Philosophen, Anthropologen und Soziologen sich darüber Gedanken zu machen, das Phänomen des Menschseins zu entschlüsseln. Die eigentliche Frage ist für mich immer noch offen: Warum ist es der Menschheit nicht gelungen, die großen sozialen Katastrophen zu verhindern, obwohl man sich mit dem „Mensch“ bzw. Menschsein so tiefgründig auseinandergesetzt hat? Ich denke, dass die wesentlichen Kräfte im Menschen wie Angst, Macht, Zorn, Lust, Vernunft thematisch mehr Platz in den Lehrplänen finden sollen, damit die neuen Generationen mit denen noch reflektierter und bewusster umgehen können. Das Buch, das wie ein Nachschlagewerk über den Begriff „Macht“ wirkt, bietet dazu viele Anregungen.
Die Machtkonzeption Tillichs wird in vier verschiedenen philosophischen Deutungen der Macht im 20. Jhd. eingeordnet und profiliert. In vier Kapiteln werden also dafür der Machtbegriff bei Hannah Arendt, Michel Foucault, Helmuth Plessner und Karl Jaspers analytisch erläutert. Schließlich wird ein Zwischenergebnis aus diesen Auffassungen erschlossen, was den Blick auf die Ontologie der Macht bei Tillich eröffnet.
Jeder Mensch ist ja das Kind seiner Zeit. Die Motivation Paul Tillichs über die Machtfrage entsteht auch aus seinem Leben im 19. Jahrhundert, welches von den beiden Weltkriegen, dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Übergang in den Nationalsozialismus sowie der politischen Verfolgung und der Zwangsemigration geprägt ist. All diese Erfahrungen führen bei ihm zu einer Wendung hinsichtlich des sinntheoretischen Machtverständnisses, woraus er später anthropologische, politische und ethische Konsequenzen zieht. Im letzten Kapitel des Buches wird dargestellt, warum die „Ontologie der Macht“ bei ihm ein Zentralbegriff ist.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf die diversen Auffassungen von Arendt, Foucault, Plessner und Jaspers über die Macht eingehen, damit wir die Ansätze Tillichs besser einordnen können.
Die Grundlagenfrage „Was ist der Mensch?“ wird bei H. Arendt zur Frage „Was macht der Mensch?“. Für sie ist der Mensch nicht von Natur aus ein zur Politik begabtes Wesen, sondern vorrangig deshalb, weil er mit Sprache befähigt ist.Das Geistesvermögen des Urteilens spielt für die drei geistigen Tätigkeiten des Menschen (das Denken, das Wollen und das Urteilen) eine Schlüsselrolle. Anlass für die Auseinandersetzung Arendts mit dem Vermögen des Denkens ist die „Gedankenlosigkeit“, d.h. die Unfähigkeit, das Denkvermögen des Geistes über sich selbst auszuüben und somit das eigene Handeln zu reflektieren und zu beurteilen. Dabei ist der Begriff Phronesis (Klugheit) die Urteilsauffassung, die Arendt hervorhebt.
Der Autor stellt die Schlüsselbegriffe der handlungstheoretischen Machtkonzeption Arendts ausführlich dar. „Macht ist, was den öffentlichen Bereich, den potenziellen Erscheinungsraum zwischen Handelnden und Sprechenden, überhaupt ins Dasein ruft und am Dasein erhält (…). Macht aber besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen.“ (Vita activa) Der „Erscheinungsraum“ verschwindet nicht nur durch die totale Herrschaft, sondern auch durch die Durchsetzung einer Ideologie und Religion. Daher gibt es eine Grenze zwischen dem öffentlichen Raum und der Privatsphäre. Einerseits wird die Religionsfreiheit im weiteren Sinn unter bestimmten Voraussetzungen im Grundgesetz gewährt, andererseits gehört die Ausübung der religiösen Rituale im engeren Sinn zur Privatsphäre.
Am wichtigsten für den Machtbegriff Arendts ist die strikte Trennung von Macht und Gewalt. Macht ist ein politisches Phänomen und absolut positiv besetzt. Gewalt, die ein instrumentales Mittel ist, sollte aber nicht im politischen Bereich auftreten. Sie betont: „Macht und Gewalt sind Gegensätze: wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden.“
Arendt spricht auch von drei Formen der menschlichen Tätigkeiten wie Arbeiten, Herstellen und Handeln. Arbeiten als menschliche Tätigkeit dient dem Lebensunterhalt. Die Aufgaben der Arbeit gehen „allen anderen Aufgaben vor, weil von ihrer Erfüllung das Leben abhängt.“ Als zweite Tätigkeit des tätigen Lebens zielt das Herstellen auf Gebrauchsgegenstände sowie Kulturgüter. Diese Produkte bilden ein relevantes Ganzes, das Arendt die physische Welt der Menschen nennt. Zusammenfassend sind Arbeiten und Herstellen bloße Mittel zum Leben und nicht dessen Ziel. Während das Arbeiten dem Überleben dient, realisiert das Herstellen die menschliche Lebensumwelt, in der die Menschen miteinander handeln können. Das Handeln als dritte Tätigkeit des tätigen Lebens versteht sie als das Vermögen, etwas zu tun bzw. etwas aus sich heraus frei zu bewirken und zu verursachen. Arendt versteht das Handeln als die höchste Form der menschlichen Tätigkeit, die dem Politischen entspricht und sich somit wesentlich zwischen Menschen abspielt. So ist das Handeln die einzige der drei menschlichen Tätigkeiten, die direkt in der zwischenmenschlichen Beziehung stattfindet. Es geht hier um ein kommunizierendes Handeln und was es auszeichnet, ist dessen Freiheit.
In diesem Sinne wird Macht oft mit Zwang, Gewalt und Herrschaft verwechselt und deswegen abgelehnt wird. Dabei wird Zwang und Gewalt oft als „brutale Macht“ empfunden, sei es psychisch oder physisch.
Der Machtbegriff nimmt in der Gedankenwelt des französischen Philosophen Michel Foucault eine Sonderstellung ein. „Im Grunde habe ich nichts anderes geschrieben als eine Geschichte der Macht.“, so Foucault. In diesem Sinne geht der Autor Atchadè mit der Machtkonzeption von Foucault tiefer in das Wesen der Macht. Denn nicht die Frage nach dem „Woher“ der Macht ist für ihn entscheidend, sondern nach dem „Wie“: „In welchen Zusammenhängen und wie tritt sie auf, was sind die Machtverhältnisse, wie kann man bestimmte Grundverhältnisse der Macht beschreiben, die in unserer Gesellschaft bestehen.“ Er hebt die produktive Funktion der Macht hervor: „In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion.“
„Wenn wir wissen wollen, was wir mit Gesetzlichkeit meinen, müssen wir analysieren, was im Bereich der Gesetzlosigkeit geschieht.“ Diese kategorial-gegensätzliche Vorgehensweise gilt auch und vor allem für seinen Forschungsansatz der Macht. Denn „wenn wir wissen möchten, was Machtbeziehungen sind, müssen wir vielleicht Widerstände dagegen untersuchen und die Bemühungen, diese Beziehungen aufzulösen“. So macht Foucault den Begriff des Widerstands zum Ausgangspunkt für seine Auseinandersetzung mit der Macht. „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand.“
In diesem Zusammenhang ist der Widerstand als Wesensaspekt der Macht die „Widerspenstigkeit der Freiheit“ gegen jede Objektivierung, d.h. jede Form der Macht, die das Individuum zum Untertan bzw. Objekt macht.
Helmut Plessner ist neben Max Scheler und Arnold Gehlen einer der Begründer der modernen Philosophischen Anthropologie im 20. Jahrhundert. Der Autor erklärt auch aus der Sicht der philosophischen Anthropologie den Menschen als den Träger der Fähigkeit zur Machtausübung und beruft sich dabei auf das Machtverständnis beim deutschen Philosophen und Anthropologen Helmuth Plessner. Die Prinzipien „Exzentrizität und Unergründlichkeit“ des Menschen spielen bei ihm eine bedeutende Rolle, womit er einen Zugang zum Menschen zu erschließen sucht.
Karl Jaspers entfaltet das Sein in vier verschiedenen menschlichen Verwirklichungsdimensionen als Dasein, Bewusstsein überhaupt, Geist und Existenz. Der Autor Atchadè beschränkt sich mit der Darstellung dieser vier subjektiven Seinsweisen und erörtert dann die objektiven Grundweisen. Für Jaspers ist das menschliche Dasein situationsgebunden. „Wir sind immer in Situation“, so dass wir niemals aus einer Situation austreten können, ohne in eine neue zu geraten.
Dem bloßen Dasein entspricht die Kommunikationsform der „primitiven Gemeinschaftlichkeit“, die sich vollzieht, wenn der Mensch als ein von Trieben und Instinkten geleitetes Wesen seine vitalen Bedürfnisse befriedigen, die eigenen Interessen durchsetzen und die „Selbstbehauptung und Daseinserweiterung“ verfolgen will. Dabei zeigt sich die kommunikative Beziehung grundsätzlich als ein Zweck-Mittel-Verhältnis. Hier gilt „Verschweigen, List, Zweideutigkeit, es gilt Lüge und Täuschung, sofern all dieses der eigenen Daseinsbehauptung dient.“ Die Kommunikationspartner werden instrumentalisiert, und sie sind auch beliebig austauschbar. „Sobald ein vitales Bedürfnis, wie der Selbsterhaltungstrieb, Besitztrieb, Geschlechtstrieb, oder Wille zur Macht befriedigt ist, wird die Kommunikation abgebrochen.“ (K. Salamun, Wie soll der Mensch sein?)
Die Kommunikationsform des Bewusstseins überhaupt ist die „der sachlichen Zweckhaftigkeit und Rationalität“. Beispielhaft hierfür ist die wissenschaftliche Kommunikation, die sich auf der Ebene des Verstandes vollzieht.
Der Seinsstufe des Geistes korrespondiert eine Kommunikation der „ideenbestimmten Geistigkeit des Gehalts“. Jaspers spricht hier auch von „gehaltvoller Kommunikation“, denn dabei „geht es um die Mitteilung und das Verstehen aus einem Sinnzusammenhang, dem die Kommunizierenden durch gemeinsame Teilhabe an gleichen Ideen angehören“.
Entscheidend für den Aufschwung in die „existenzielle Kommunikation“ ist nach Jaspers die „Erfahrung des Ungenügens“ in den drei immanenten Kommunikationsformen. „Das Ungenügen an Kommunikation ist daher ein Sprung für den Durchbruch zur Existenz und für ein Philosophieren, das ihn zu erhellen sucht. Wie alles Philosophieren mit dem Staunen beginnt, das Weltwissen mit dem Zweifel, so die Existenzerhellung mit der Erfahrung des Ungenügens der Kommunikation.“ Um existenziell kommunizieren zu können, muss ich zugleich zur Einsamkeit fähig sein. Einsamkeit ist die erste Voraussetzung für die Erhellung und die Verwirklichung der existenziellen Kommunikation. Eine weitere Voraussetzung für die zwischenmenschliche existenzielle Kommunikation ist die vorbehaltlose gegenseitige „Offenbarkeit“. Offenbarwerden heißt dabei „Wirklichwerden des Ich als Selbst“. (…) „In der Kommunikation werde ich mir mit den Anderen offenbar.“ Will ich meine Existenz verwirklichen, so muss ich mich aus meiner Einsamkeit heraus für die Kommunikation mit anderer Existenz offenhalten. (…) Sich gegenseitig offenhalten für die existenzielle Kommunikation heißt, in Kampf treten, aber in einen liebenden Kampf. Mit dem liebenden Kampf als eine weitere Voraussetzung für die existenzielle Kommunikation ist die Bereitschaft gemeint, in der sich Menschen nicht egoistisch, sondern „restlos gegenseitig wagen in Frage zu stellen, um an ihre Ursprünge zu kommen dadurch, dass sie in unerbittlicher Durchleuchtung wahr werden.“
„Erst mit meinem Ergriffenwerden von der Politik gelangte meine Philosophie zu vollem Bewusstsein bis in den Grund auch der Metaphysik.“ (Jaspers) Die Bedeutung der Politik für die Freiheit bzw. für die Selbstwerdung des Menschen ist Jaspers nämlich erst durch die Erfahrung der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus klar geworden. „Die Politik ist eine Wirklichkeit, die uns auf den Nägeln brennt! Sie bestimmt unser Dasein. Wir sind von ihr abhängig. Das wurde mir erst deutlich mit dem Nationalsozialismus. Wohl habe ich schon in den zwanziger Jahren angefangen, mich mit Politik zu beschäftigen: in meiner ‚Geistigen Situation der Zeit‘ (1931). Aber entscheidend war doch die Nazizeit.“ (Jaspers) „Philosophie und Politik treffen sich“ Jaspers zufolge. Denn geht es der Philosophie vor allem darum, den Menschen in Freiheit zur Selbstverwirklichung zu führen, so der Politik um deren gesellschaftliche Umsetzung.
„Kein menschliches Leben besteht ohne die Realität der Gewalt.“ Jaspers vertritt weder die Verherrlichung noch die Verwerfung der Gewalt. Für ihn braucht das Zusammenleben Ordnung, wo sich Gerechtigkeit und Freiheit erweisen. Dabei soll Macht „das Vehikel der Rechtsverwirklichung sein.“ Existenz heißt für Jaspers wesentlich Freiheit. Zwei freie Sich-Treffende können wahrhaftig kommunizieren. Die ganze Philosophie von Jaspers kann man mit Recht als eine „Philosophie der Freiheit“ beschreiben. Die Frage nach Freiheit hat einen existentiellen Charakter. Der Zweck der Freiheit ist ihre Auslebung, nicht ein bloßes Wissen über sie. Freiheit verwirklicht sich immer nur in Gemeinschaft. Die politische Freiheit versteht sich für Jaspers als eine Umsetzung der existentiellen Freiheit im Lebensvollzug des Menschen mitten in der Gemeinschaft bzw. staatlich verfassten Gesellschaft.
Es geht ihm in seinen politischen Ausführungen um die Erneuerung der gesellschaftlichen und politischen Existenz. Hier erweist sich Freiheit für ihn als ein gemeinsames Ziel von Philosophie und Politik.
Die Tatsache, dass das Freiheitsbewusstsein nicht in den geschlossen Gesellschaften existiert, ist diesbezüglich sehr interessant.
Am Ende des ersten Teils im Buch wird eine kritische Zwischenbilanz zum Machtbegriff bei Arendt, Foucault, Plessner und Jaspers gezogen, um von hier aus die Konturen einer Ontologie der Macht bei Tillich sichtbar zu machen.
Tillich schreibt dem Machtbegriff den Rang eines transzendentalen Begriffs zu. Ontologie fragt danach, inwieweit Macht zum Sein gehört. Entscheidend ist hier der Bezug der ontologischen Deutung der Macht auf das Sein des Menschen. Zeitbezogenheit in seinem Gedankengut spielt eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zu Foucault sieht Tillich zwischen „Macht“ und „Widerstand“ eine ontologische Korrelation. Das zentrale Anliegen Plessners ist die Frage nach der Sonderstellung des Menschen unter den Lebewesen. Was macht den Menschen zum Menschen? Keine fixe Definition des Menschen ist möglich. Plessner war es wichtig, das Phänomen der Macht in anthropologischer Perspektive zu analysieren.
Nach dieser langen Ausführung können wir auf die Gedanken Tillichs eingehen. In seiner Predigerfunktion nahm Tillich vier Jahre lang am ersten Weltkrieg teil. Tillich hielt vor dem Krieg Distanz zur Politik und war ein „begeisterter und patriotischer Befürworter des Krieges.“ Nach der Rückkehr aus dem Krieg wandelte er sich „zum kritischen und glühenden klassenbewussten Sozialisten.“ Seine Auseinandersetzung mit den politischen Problemen der Nachkriegszeit hängt zusammen mit seiner Kriegserfahrung und mit der Revolution, die zum Zusammenbruch der kaiserlichen Monarchie führte. In dieser Zeit wurden ihm die „politischen Hintergründe des Weltkriegs, der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Imperialismus, die Krisis der bürgerlichen Gesellschaft, die Tatsache der Klassenspaltung usw.“ sichtbar. Dies hat ihn “zur politischen Stellungnahme“ gezwungen und dazu veranlasst, theoretisch und praktisch „für eine neue sozialistisch aufgebaute Gesellschaftsordnung“ Stellung zu nehmen. Der Autor erläutert die gesellschaftspolitische Lage der Nachkriegszeit sehr detailliert, damit seine Stellungnahme und deren Weiterentwicklung richtig verstanden werden.
Tillich zufolge hat der moderne Mensch den Sinn in Bezug auf sich selbst, die Welt und auch Gott verloren. Seine entscheidende Frage nach dem Sinn: „Wie kann ich einen Sinn in dieser sinnlosen Welt finden?“. Tillich hält die Abwendung vom Ewigen bzw. die Trennung von Religion und Kultur für verantwortlich für die Probleme der modernen Kultur, besonders der modernen Sinnkrise. „Wert und Sinn ergeben sich bei tieferer Analyse als identische Begriffe.“ Wobei für Tillich der Geist als der Ort gilt, an dem der Sinn Bedeutung gewinnt. Geistiges Leben ist Leben im Sinn. Seine Sinntheorie wird im Buch weit und breit diskutiert.
Die Dreiheit von „Liebe“, „Macht“ und „Gerechtigkeit“ „weist auf eine Dreiheit der Struktur des Sein-Selbst hin. Metaphysisch gesprochen sind Liebe, Macht und Gerechtigkeit so alt wie das Sein-Selbst.“ Dabei geht es um eine innere und ontologische Einheit von diesen Begriffen, die ineinander vorflochten sind. Also die Macht zu sein kann nur auf dem Weg der Liebe und nur in der Form der Gerechtigkeit aktuell werden. Zudem setzt sich Tillich mit unterschiedlichen Stufen der Liebe und mit der Spannung zwischen „Liebe und Macht“, „Liebe und Gerechtigkeit“ und auch „Macht und Gerechtigkeit“ auseinander. Auch der innere Zusammenhang von Macht, Gewalt und Zwang wird im Kontext der zwischenmenschlichen und Beziehungen zwischen sozialen Gruppen dargestellt. Tillich zufolge „verwirklicht sich Macht durch Gewalt und Zwang.“
Tillichs Ausführungen um die Macht herum haben mich sehr beeindruckt.
Beim Lesen des Buches macht man eine philosophische Reise rund um den Begriff „Macht“. Dem Autor ist es gelungen, ein schwieriges Thema mit all seinen diversen Dimensionen in einer verständlichen Sprache darzustellen.