Der Prophet Hiob war einst ein wohlhabender, dankbarer Diener Gottes gewesen, später verlor er all seinen Reichtum wie auch seine Kinder oder seine ganze Familie. Als Prophet aber kann er weder ein abstoßendes oder Ekel erregendes Aussehen besessen noch einen üblen Geruch verströmt haben. Hiob – Friede sei mit ihm – ertrug seine Leiden jahrelang, ohne auch nur einen Vorwurf gegen Gott zu erheben. Er betete: Wahrlich, Unheil hat mich heimgesucht; und Du bist der Barmherzigste unter den Barmherzigen. (21:83) Gott nahm sein Gebet an und befreite ihn von seinem Leid. Er gab ihm seine Familie (die er verloren hatte) zurück und noch einmal so viele (Nachkommen) hinzu.
Weil der Prophet Hiob über einen so langen Zeitraum hinweg unter einer Hautkrankheit litt, fürchtete er, seine Anbetung Gottes könnte darunter leiden. Und so wandte er sich nicht um seiner Gesundheit, sondern um eben dieser Anbetung willen an Gott: Wahrlich, Unheil hat mich heimgesucht; und Du bist der Barmherzigste unter den Barmherzigen. (21:83) Gott, der Allmächtige, erwiderte dieses aufrichtige, uneigennützige und fromme Bittgebet auf wunderbare Art und Weise: Er stellte Hiobs Gesundheit wieder her und beschenkte ihn mit Seiner ganzen Barmherzigkeit.
Hiobs Bittgebet hält einige wertvolle Lektionen für uns bereit: Geradeso wie Hiob unter physischen Leiden litt, leiden wir unter spirituellen Krankheiten. Würden wir unser inneres Wesen nach außen kehren, so würden wir wohl verletzter und kranker als Hiob erscheinen. Denn jede Sünde, die wir begehen, und jeder Zweifel, der an uns nagt, hinterlässt Narben auf Herz und Geist.
Die Wunden des Propheten Hiob bedrohten sein kurzes irdisches Leben; unsere inneren Wunden hingegen bedrohen unser unendlich langes, ewig währendes Leben. Wir bedürften seines Bittgebets viel dringender als er selbst.
Jede Sünde, die zum Herzen vordringt, verdunkelt es ein Stück mehr, bis schließlich der Glaube vollständig erloschen ist. In jeder Sünde ist ein Pfad zum Unglauben mit angelegt. Wird sie nicht umgehend getilgt, indem man die Vergebung Gottes sucht, verwandelt sie sich von einem Wurm in eine Schlange, die das Herz vergiftet.
Zweitens: Durch Katastrophen und Krankheiten wird das Leben verfeinert, vervollkommnet und gestärkt. Durch sie wird es seiner wahren Bestimmung zugeführt. Ein Leben, das monoton und träge auf der Couch von Bequemlichkeit und Komfort gelebt wird, unterscheidet sich kaum von der Nichtexistenz.
Drittens: Diese Welt ist ein Ort der Prüfung und des Dienstes, kein Ort von Lohn und Vergütung. Krankheiten und Katastrophen sind uns von Nutzen, solange sie unseren Glauben nicht beeinträchtigen und wir sie geduldig auf uns nehmen. Sie sind wichtig für unsere Anbetung, stärken uns und machen jede im Gebet verbrachte Stunde so wertvoll wie einen im Gebet verbrachten ganzen Tag. Anstatt uns über sie zu beklagen, sollten wir dankbar für sie sein.
Es gibt zwei Arten von Anbetung, eine positive (das, was wir gemeinhin unter Anbetung verstehen) und eine negative Anbetung (das geduldige Ertragen ungünstiger Umstände). Zu dieser negativen Form der Anbetung zählen auch Krankheiten und Katastrophen. Durch sie lernen wir unsere eigene Hilflosigkeit kennen und erfahren, wie verletzlich wir sind. Das versetzt uns in die Lage, eine reine, von keinerlei Heuchelei geschmälerte Form der Anbetung darzubieten. Wir wenden uns unserem barmherzigen Gott zu, denken ständig an Ihn und bitten Ihn demütig um Hilfe. Wenn wir Geduld zeigen, an den Lohn denken, der mit unserem Leid verbunden ist, und dankbar sind, wird jede Stunde, die so vergeht, gleichviel zählen wie ein ganzer im Gebet verbrachter Tag. Aus einem kurzen Leben wird so ein langes Leben. In manchen Fällen wird sogar eine einzige Minute ähnlich hoch angerechnet wie ein ganzer im Gebet verbrachter Tag.
Die Kraft der Geduld, die uns von Gott, dem Allmächtigen, verliehen wurde, reicht aus, um jedes Unglück zu schultern. Sie darf allerdings nicht auf unbegründete Ängste verschwendet werden. Aber unter dem Druck unbegründeter Ängste, aus Nachlässigkeit oder weil er sich einbildet, dieses vorübergehende Leben währe ewig, vergeudet der Mensch diese Kraft für die Beschäftigung mit der Vergangenheit und der Zukunft. So vermag sie das Unglück der Gegenwart nicht länger zu ertragen, und der Mensch beginnt zu klagen. Es ist, als beschwere er sich – Gott behüte! – bei den Menschen über den Allmächtigen. Kurzum: Geradeso wie die Dankbarkeit die Gnadenbeweise Gottes förmlich anzieht, mehrt die Klage das Unglück und versperrt jeden Weg zur Barmherzigkeit.
Viertens: Wirklich verhängnisvoll ist ein Unglück dann, wenn es den Glauben beeinträchtigt. In diesem Fall sollte man stets beim Thron Gottes Zuflucht suchen und Ihn um Hilfe anflehen. Ein Unglück hingegen, das den Glauben nicht berührt, ist in Wahrheit kein Unglück. Hinter manchem Unglück verbirgt sich eine Warnung des Barmherzigen. Wirft ein Hirte einen Stein nach einem Schaf, das im Begriff ist, auf dem Weideland eines anderen Hirten zu grasen, dann versteht das Schaf, dass der Stein dazu dient, es vor einem gefährlichen Fehler zu bewahren. Dankbar kehrt es auf das eigene Weideland zurück. Genauso reinigt uns manches Unglück von unseren Sünden; anderes nimmt uns unsere Gedankenlosigkeit und erinnert uns daran, wie verletzlich und schwach wir sind, beschert uns auf diese Weise inneren Frieden.
Krankheit, die ja als eine Form des Unglücks gilt, ist mit Sicherheit kein Unglück, sondern eine besondere Gnade Gottes, etwas, das uns reinigt. Folglich betete der Prophet Hiob – Friede sei mit ihm – nicht um Trost für seine Seele, sondern darum, Gott so anbeten zu können, wie es Ihm gebührt. Denn die Krankheit erschwerte ihm sowohl das Gebet mit der Zunge als auch das Gedenken Gottes mit dem Herzen. Auch uns sollte es also, wenn wir uns an Gott wenden, an erster Stelle um die Heilung unserer inneren und spirituellen Wunden gehen, die uns aus unseren Sünden erwachsen.
Wegen körperlicher Krankheiten sollten wir nur dann Zuflucht bei Gott suchen, wenn sie unsere Anbetung beeinträchtigen. Aber auch in diesem Fall sollten wir demütig bitten, und nicht protestieren oder uns lauthals beschweren. Wenn wir Gott als unseren Herrn akzeptieren, dann müssen wir uns mit allem abfinden, was er uns als eine Manifestation Seiner Gnade zukommen lässt.
Wer hingegen ständig Einwände erhebt und sich in einer Form beschwert, die nur den einen Schluss zulässt, dass er sich gegen die Vorherbestimmung Gottes auflehnt und sie kritisiert, prangert damit die Barmherzigkeit Gottes an. Wer die Barmherzigkeit Gottes unter Anklage stellt, wird nicht länger in ihren Genuss kommen. Und wer auf ein Unglück mit Protest, Anklage und Angst reagiert, verdoppelt nur sein Unglück.
Quelle: Zusammengefasst aus: Lem’alar, 8-11.