Der Islam ist wieder Tagesthema. Die ewige Diskussion über den Gebetsruf ist wieder aufgeflammt. Worin besteht der Inhalt dieses Rufes? Hier der Wortlaut:

Allâhu akbar (Gott ist groß.) / Aschhadu an lâ ilâha illâ-llâh (Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt.) / Aschhadu anna muhammada r-rasûlu-llâh (Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist.) / Hayyâ alâ s-salâh. (Auf zum Gebet!) / Hayyâ alâ l-falâh (Auf zum Heil [Wohlergehen]!) / Allâhu akbar (Gott ist groß.) / Lâ ilâha illâ-llâh (Es gibt keine Gottheit außer Gott.)

Was bedeutet es für Muslime und Deutsche, wenn in Köln – zunächst noch mit gedrosselter Phonzahl – der Muezzinruf ertönt? Der Islam ist eine weitgehend normative und sichtbare Religion. Die zwei sichtbarsten Zeichen sind das Kopftuch und der Gebetsruf. Ich bin der Meinung, dass wir mit diesen Zeichen pragmatisch umgehen sollten. Angesichts der heftigen Diskussion und Aufregung darüber frage mich immer wieder: Gibt es nicht wichtigere Probleme im Leben der Muslime hier in Deutschland? Geht es in erster Linie um das Kopftuch und den Gebetsruf? Ich glaube nicht. Probleme in puncto Identität, familiäre Erziehung, Sozialisation, Partizipation, pluralistisches Denken, Demokratieverständnis, ethische Fragen etc. sind wesentlich wichtiger.

Der Kölner Stadtrat hat einerseits sicherlich überzeugende Gründe für seine Entscheidung. Er möchte ein Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz der deutschen Gesellschaft setzen und gemäß der Gesetzeslage den Muslimen in unserem Land eine weitergehende Ausübung ihrer Religion ermöglichen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass eine ganze Reihe von Muslimen dadurch nicht ermutigt werden, sich noch stärker in Deutschland zu beheimaten und demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien, Respekt vor Andersdenkenden etc. zu unterstützen. Im schlimmsten Fall kann die Erlaubnis zum Gebetsruf sogar als Bestärkung einer antideutschen Haltung missverstanden werden.

Angesichts der mangelnden Kommunikation mit den Anwohnern und der problematischen Vorgeschichte besteht zugleich die Gefahr, dass antimuslimische Tendenzen und Ressentiments weiter gestärkt werden. Dadurch wird kein Problem gelöst, sondern die Gesellschaft noch mehr gespalten.

Insbesondere fundamentalistisch beeinflusste Muslime werden die Erlaubnis des Gebetsrufes u.U. nicht als eine Tugend der Demokratie verstehen, sondern deren Vorzüge ausnutzen, um die Verherrlichung ihrer Religion und Nationalität weiter voranzutreiben. Einige Islamisten werden wahrscheinlich sogar bejubeln, dass sie eine Bresche für den Islam geschlagen haben. Etwa in dem Sinne: „Ein wichtiger Schritt in Richtung einer Islamisierung der deutschen (ungläubigen) Gesellschaft. Durch den harmonischen, beeindruckenden Klang des Gebetsrufes können jetzt noch mehr Deutsche für den Islam gewonnen werden!“ Nach meinem Eindruck glauben daran tatsächlich nicht wenige Muslime, ohne sich selbstkritisch damit auseinanderzusetzen, dass es in muslimischen Ländern massive Defizite in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte, Wissenschaft, Kunst und Kultur gibt.

Die Religionspolitik in Deutschland muss verstärkt auf die richtigen Balancen achten. Zeichen der Toleranz und Weltoffenheit müssen einhergehen mit der Forderung an bestimmte muslimische Communities, universelle Werte wie pluralistische Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Respekt vor Andersdenkenden wertzuschätzen und auf absolute Wahrheits- und Überlegenheitsansprüche zu verzichten. Beides muss zusammengehen. Reine Symbolpolitik mag gutgemeint sein, ist aber deshalb noch lange nicht gut und nachhaltig hilfreich.

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